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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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hinterlassen hat.«
    »Dann bereite alles vor, wie ich es dir gesagt habe. Und denkt |426| daran: Herrera muß diese Entwürfe von Juanelo so schnell wie möglich finden.«
    »Wir kümmern uns darum, seid unbesorgt. Erzählt mir jetzt, was geschah, nachdem Herrera Euch notgedrungen einschließen mußte in jenem Saal des Escorial, den man seinerzeit als Bibliothek nutzte.«
    »Nun, in jener Nacht fürchtete ich den Tagesanbruch wie nie zuvor in meinem Leben. Schon waren die ersten Sonnenstrahlen zu erahnen, die bald durch die Fenster hoch oben hereinfallen und den Vollmond ablösen würden, dessen Licht noch den Himmel erhellte. Ich versuchte mir auszumalen, was passieren würde in dem Augenblick, da der königliche Bibliothekar, Benito Arias Montano, den Saal betrat. Sobald er mich entdeckte, würde er sicher unverzüglich die Wache rufen, in vollem Bewußtsein des Ernstes der Lage, deren Konsequenzen er auf sich nehmen müßte, trug er doch die Verantwortung für die Bibliothek. Selbst für den Fall, daß er bester Laune war, würde Montano mein Anblick genügen, um dahinter eine bewußte Täuschung seines Widersachers Herrera zu vermuten. Ganz zu schweigen vom König, der seine Gutgläubigkeit schamlos ausgenutzt sähe und sich hintergangen fühlen würde. Und es gab nichts, was ihn mehr in Zorn geraten ließ, wie ich von Turriano wohl wußte.
    Ich fragte mich natürlich, warum mir der Architekt nicht zu Hilfe kam. War ihm denn nicht klar, daß auch er, sollte man mich hier entdecken, in Schwierigkeiten geriete? Eine ganze Weile nährte ich die Hoffnung, daß er bald erscheinen würde. Als ich sie schließlich aufgeben mußte, ging ich noch einmal alle Fluchtmöglichkeiten durch. Doch ich fand keinen Ausweg. Entmutigt ließ ich mich auf den Boden sinken und lehnte mich gegen die Wand. Eine seltsame Gelassenheit begann nun von mir Besitz zu ergreifen, der Fatalismus desjenigen, der sich verloren weiß. Und während der sinkende Mond das vergitterte Profil der Fenster auf die Wände zeichnete, vernahm ich in dieser ausgedehnten Stille auf einmal ein Geräusch, das von weit unten zu kommen schien. Es hörte sich an wie das |427| Tosen von Wasser, als sei soeben irgendwo ein Schleusentor geöffnet worden. Da fiel mir auf, daß ich einen möglichen Fluchtweg von vornherein außer acht gelassen hatte: den Fußboden.
    Es war meine letzte Chance. Ich drückte mein Ohr gegen jede einzelne der massiven Granitfliesen und legte dann Bücher auf die, unter denen ich das Wasser schwach fließen hörte. Durch diese Markierungen erhielt ich einen ersten Eindruck von der Strömung, die den Saal unterirdisch kreuzte. Vielleicht war es ja ein Abwasserkanal. Ich untersuchte die gekennzeichneten Bodenplatten daraufhin genauer. Als ich mich auf einer davon aufstützen wollte, gewahrte ich, daß sie ein wenig wackelte. Sie lag nahe der Wand, deren höhere Feuchtigkeit bewirkt hatte, daß der Mörtel weich geworden war.
    Ich brauchte einen spitzen Gegenstand. Auf dem Tisch lag ein kleines Stilett, das Montano wohl zum Aufschlitzen der Papierbogen benutzte. Indem ich die lose Platte mit meinem ganzen Körpergewicht an einer Ecke hinunterdrückte, gelang es mir, das Stilett in die dadurch entstandene Ritze zu stecken Zoll um Zoll stocherte ich damit einmal um die Platte herum, um den Mörtel zu lösen. Als ich es endlich geschafft hatte, stellte sich die Frage, womit ich die Platte nun anheben sollte. Wie konnte ich einen so schweren Stein nur von der Stelle wuchten?
    Ich machte eine kurze Pause und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Dann sah ich mich um. Auf dem Tisch fand ich nichts, was mir hätte nützlich sein können. Ein beschädigtes Buch, das der Bibliothekar an einem kleinen Tisch in der Ecke gerade restaurierte, brachte mich schließlich auf den rettenden Gedanken. Arias Montano benutzte dafür eine dicke Nadel, eine Schusterahle und dickes Segelgarn. Ich prüfte die Kordel. Sie war kräftig genug.
    Ich nahm das Garn dreifach, fädelte es in die Nadel und steckte sie dann in die Rille, die zuvor mit Mörtel gefüllt gewesen war. Mit Hilfe des Stiletts führte ich sie unter der Platte hindurch. Das Ganze wiederholte ich fünfmal, jedesmal sicherer |428| und geschickter, so daß die Platte nun von der mehrfach um sie geschlungenen Kordel gehalten wurde. Dann riß ich einen dünnen Lederstreifen von der Lehne des Sessels, in den sich der Bibliothekar zum Arbeiten setzte, und band damit die beiden Kordelenden zusammen, so daß

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