Kryptum
jenseits der Mauer erwartete.
Bald verengte sich der Kanal derart, daß die Strömung wieder reißender wurde. Und auch das Gefälle wurde steiler. Immer öfter schlug ich gegen die steinernen Seitenmauern, und mir kam es vor, als fiele ich durch einen zunehmend schmaler werdenden Trichter. Meine Unruhe wuchs noch, als ich den Lärm hörte, der aus der Tiefe heraufdrang, ein regelmäßiges, durchdringendes Sirren, das die Luft zu durchschneiden schien. Ich blickte nach unten, wo ich ein von der Seite einfallendes Licht erkennen konnte, das in regelmäßigen Abständen aufblitzte, weil es sich wohl in einem metallischen Gegenstand spiegelte. Zunächst konnte ich mir keinen Reim darauf machen. Doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen:Ich trieb unaufhaltsam auf eines dieser Mühlräder zu, dessen Schaufeln so scharf wie Sensen waren. Sie würden mich unweigerlich zerstückeln!
|433| Panik befiel mich und lähmte mein Denken. Mein Instinkt sagte mir jedoch, was zu tun war. So schnell ich konnte, entledigte ich mich meines Wamses, richtete mich in dem immer reißenderen Wasserlauf auf und schleuderte das Kleidungsstück nach unten auf das Mühlrad. Obwohl der Stoff sehr dick war, hatten die scharfen Schaufeln das Wams im Nu zerfetzt. Dennoch drehten sie sich weiter, und der Abstand wurde immer kleiner. Da zog ich auch mein Hemd aus und warf es dem Wams hinterher. Und weil dessen Stoff elastischer war, verhedderte es sich im Rad. Trotzdem lief es weiter. Und ich, ich war schon ganz nah! In letzter Verzweiflung lockerte ich meinen eisenbeschlagenen Gürtel, schlüpfte aus den Hosen und schleuderte auch sie auf die Mühlenschaufeln, und schon stürzte ich hinterher, genau in dem Augenblick, als meine Beinkleider mit den Eisenbeschlägen des Gürtels die messerscharfen Schaufeln blockierten und aushebelten, so daß sie durch die Luft flogen und mit großem Krach an einer Wand zerschellten.
Ich selbst knallte auf eine Holzplanke, die als Achse für das Wasserrad gedient hatte, wodurch ein daran befestigter Wasserschieber umkippte, der verhinderte, daß ich wieder ins Wasser fiel. So gut es ging, zog ich mich daran hoch und schob mich bäuchlings zu einer schmalen Treppe, die vom Mühlrad aus nach unten führte. Derweil ich – noch völlig außer Atem nach dem überstandenen Schrecken – die Stufen hinabstieg, sah ich dann auch, wohin das Wasser floß, nachdem es die Schaufeln des Rads in Bewegung gesetzt hatte: Es fiel in ein großes, tiefes Becken weit unter mir, das sich in einem riesigen Kellergewölbe befand, das ich nicht in seiner ganzen Länge überblicken konnte. Hier drinnen schwitzten die Wände keine Feuchtigkeit mehr aus, die Luft war trocken, und die Temperatur stieg, je tiefer ich in diese Höhle hinabstieg. Mein vor Kälte zitternder nackter Körper war sehr dankbar dafür.
Doch schon nach wenigen Augenblicken kam mir die Hitze drückend vor. Ein beißender Geruch, wie nach Schwefel, hing in der Luft, was in diesen Tiefen höchst sonderbar war und |434| mich an die Mär vom Höllenschlund denken ließ, über dem sich, wie es hieß, das Gebäude des Klosters erhob. Und aus dem die
escorias,
die Schlacken, stammten, die dem Bauwerk seinen Namen gaben.
Kurz darauf hörte ich Stimmen, die immer näher kamen, um, wie ich annahm, dem Lärm auf den Grund zu gehen, den das zerberstende Mühlrad und der Wasserschieber verursacht hatten. Schnell versteckte ich mich hinter einer Säule, von wo aus ich zwei schweißgebadete Männer vorbeigehen sah. Sie schienen indes das kaputte Wasserrad gar nicht zu bemerken, sondern stellten sich unter eine weit oben im Gewölbe eingelassene Luke, die in diesem Augenblick geöffnet wurde. Auf ihren Zuruf hin wurden gewaltige Holzscheite heruntergeworfen, die sie zu hohen, ordentlichen Stößen aufschichteten. Da niemand in meine Richtung sah, trat ich hinter der Säule hervor und schlich mich dann zwischen den Holzstapeln bis zur Mitte des Kellergewölbes, so nah, wie es mir die Deckung aus Brennholz gerade noch erlaubte. Vorsichtig reckte ich den Hals, um etwas sehen zu können. Der Anblick, der sich mir bot, machte mich sprachlos.
Von meinem Versteck aus konnte ich den großen Saal, in dem rund ein Dutzend Arbeiter schufteten, beinahe in seiner Gänze überblicken. Er wurde von einem riesigen Gewölbe überspannt, das sich in der Mitte auf einen Brennofen stützte, aus dem das Rippenwerk, den Zweigen einer Palme gleich, entsprang. Entlang den Wänden standen etliche
Weitere Kostenlose Bücher