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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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die ihn zeugten, die Rehe und Schildkröten, die er verschlang, die Weide, von der die Rehe sich nährten, die Erde, deren Mutterschoß die Weide hervorbrachte, der Himmel, der der Erde das Licht schenkte‹

Pio Baroja hatte es zuvor noch einfacher ausgedrückt: ›In dir steckt deine ganze Rasse und in deiner Rasse die ganze Erde, auf der sie gelebt hat.‹«
    »Legen Sie so Herreras Worte aus?« David wollte sich vergewissern, daß er ihn richtig verstanden hatte.
    »Er wußte, daß eine Stadt nicht nur aus Steinen erbaut wird, sondern einem ausgeklügelten Plan folgt«, erklärte Maliaño. »Er suchte nach einer Architektur, die die alten Legenden einbezog. Wie ein Blitzableiter oder Traumfänger, der die Bewohner vor den Geistern schützte.«
    »Das klingt nach einem Talisman«, sagte Rachel.
    »Das
ist
ein Talisman. Deine Mutter hat es so genannt. Weißt du, wie sie Herreras Konstruktion interpretiert hat?«
    »Meine Mutter hat mit mir nie über diese Dinge gesprochen.«
    |418| »Mach ihr das nicht zum Vorwurf. Sie hat versucht, dich von all dem fernzuhalten, damit es dir nicht ebenso ergeht wie ihr. Wenn sie jetzt ihre Meinung geändert hat, dann nur, weil sie wußte, daß ihr bloß noch wenig Zeit bleibt und sie den entscheidenden Schritt machen wollte. Das darfst du nie vergessen. Außerdem konnte sie es dir gar nicht viel früher erzählen, denn das hat sie erst vor kurzem erforscht. Ich bat sie darum für den Katalog der Ausstellung, die wir über die Plaza Mayor vorbereiteten. Ich habe ihr all das erzählt, was ich euch jetzt erzähle, sowie einige der Überlieferungen meiner Familie. Jorge de Maliaño, mein Vorfahr, der den Palast vor der Casa de la Estanca erbaute, war mit Herrera befreundet. Deine Mutter bringt Herreras ›Abhandlung über die Figur des Kubus‹ mit der muslimischen Kaaba und der Legende von der Cava von Antigua in Verbindung.«
    »Das Wort könnte den gleichen Ursprung haben«, erklärte David. »Kaaba heißt auf arabisch

Kubus‹. Und das Heiligtum der Muslime ist in der Tat ein würfelförmiges Gebäude. Aber ich sehe die Verbindung nicht ganz.«
    Maliaño durchwühlte eine Schublade seines Tischs, bis er ein paar Bogen Papier fand.
    »Das hier sind Saras Notizen. Ich lese euch die interessantesten Passagen daraus vor.«
    In manchen Legenden wird behauptet, der letzte König der Westgoten
, Don Rodrigo, habe den Thron an die Araber verloren, weil
er La Cava, die Tochter des Grafen Don Julián, geschändet habe.
Dieser Name wird gewöhnlich mit
kaba
in Verbindung gebracht
(was auf arabisch
Jungfrau
heißt) oder auch mit
khaba
, was
Hure
bedeutet.
    Vielleicht ist
La Cava
aber auch eine Transposition von der
Kaaba, des würfelförmigen Heiligtums in Mekka, in das der
schwarze Stein eingelassen ist. Der Legende nach wurde die Kaaba
von Adam und Eva nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies
errichtet, und nachdem die Sintflut den Tempel fortgerissen hatte
, bauten ihn Abraham und sein Sohn Ismael wieder auf.
    |419|
Was Don Rodrigo in Antigua schändete, wäre demnach jenes
Heiligtum, das vor Zeiten eine Höhle gewesen sein soll. Sie wurde
von einem Ungeheuer bewacht, das Herkules tötete. Herkules
erbaute auch den Königspalast und schloß darin die Geheimnisse
ein, die er bei seinen ›zwölf Arbeiten‹ entdeckt hatte. Deshalb
erklärte er ihn zu einem verbotenen Ort, hängte ein Schloß
davor und verfügte, daß man jedesmal, wenn ein König starb,
diesen neben dem Palast bestatten solle, an dessenTor sein Nachfolger
ein weiteres Schloß anzubringen habe. Der Ort wurde dadurch
zu einer so sicheren Festung, daß die Goten beschlossen,
dort ihre Schätze zu verwahren. Und als im Jahr 710 Don Rodrigo
den Thron bestieg, hingen schon vierundzwanzig Schlösser
davor.
    Rodrigo wollte wissen, was sich hinter dem Tor verbarg, aber
niemand konnte ihm Auskunft geben. Der älteste seiner Ratgeber
sprach von einem Talisman, von dem das Geschick des ganzen
Reiches abhing, doch damit verstärkte er die Habgier des
Königs nur noch. Eigenhändig brach er die Schlösser auf und
drang in den Palast ein. Die Chroniken erzählen, daß er mitten
darin, umgeben von unermeßlichen Schätzen, eine würfelförmige
Truhe fand, und als er sie öffnete, entströmte ihr ein helles Licht,
und er entdeckte auf einer Art Wandbehang grauenerregende Gestalten
. Sie trugen seltsame, bunte Gewänder und am Gürtel
breite Schwerter, die in ihrer Form an den Halbmond auf ihren
Standarten erinnerten; und

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