Kryptum
gewesen, meine Beweggründe zu erraten, denn
er
wußte sehr wohl von den Geheimnissen der Casa de la Estanca. Jedenfalls |437| sperrte Zenturio mich in eine Kammer und befahl seinen bewaffneten Männern, mich zu bewachen.
Nach einer Weile öffnete sich die Tür, und Juan de Herrera huschte herein. Er schloß die Tür hinter sich, zog mich in eine Ecke und erzählte mir flüsternd, daß er die ganze Nacht nicht geschlafen habe, um mich in einem günstigen Moment aus der Bibliothek befreien zu können. Aber Seine Majestät sei einfach nicht müde geworden und habe ihn unendlich lange mit Beschlag belegt und sich die Baupläne zeigen lassen, da ihn dies am besten von seinen Sorgen ablenke.
›Als ich dann endlich in die Bibliothek zurückkehren konnte und Euch dort nicht mehr fand, beunruhigte mich das noch mehr. Wie ist es Euch gelungen, dort herauszukommen?‹
›Durch den Abwasserkanal.‹
›Durch die Kloake? Aber sie ist doch unheimlich eng.‹
›Wem erzählt Ihr das! Aber sie wird breiter, sobald man über eine Art Rampe in den Hauptkanal gerutscht ist, der zur Faulkammer führt.‹
›Ihr … Ihr wart in der Faulkammer!‹ raunte der Architekt erschrocken.
›Wie sollte ich sonst in die riesige Destillierstube geraten sein? Was treiben die Leute da unten eigentlich?‹
›Ach, nichts‹, gab Herrera ausweichend zur Antwort. ›Das ist nur die Destillierstube der Apotheke.‹
›Nichts, sagt Ihr? Ich bezweifle sehr, daß es sonst irgendwo auf der Welt ein vergleichbares Laboratorium gibt.‹
›Also gut. Wir suchen nach den Quintessenzen der Dinge …‹, bekannte er verärgert.
Da ich ihn mit großen Augen anstarrte, weil ich nicht begriff, was er damit meinte und was das mit der Destillierstube und der Faulkammer zu tun hatte, in der die sterblichen Überreste der königlichen Familie verwesten, fuhr er fort.
›… dem lebenserzeugenden und lebenserhaltenden
spiritus
, der das richtige Mischungsverhältnis der Elemente bei der Ausformung der irdischen Dinge aus der
materia prima
lenkt und von Generation zu Generation weitergegeben wird.‹
|438| ›Und wozu?‹
›Der ganze Escorial wird nach diesen Prinzipien gebaut und ist darauf ausgerichtet. Vergeßt nicht, daß hier das Pantheon der spanischen Könige entsteht, ihre letzte Ruhestätte, wo sie das Jüngste Gericht erwarten werden … Aber jetzt ist nicht der richtige Moment, darüber zu sprechen. Wir müssen Euch etwas zum Anziehen besorgen und hier herausholen. Es ist ein Wunder, daß Ihr überhaupt noch am Leben seid.‹
›Ein Wunder wäre es, wenn ich das hiernach auch noch bin.‹
›Da irrt Ihr Euch. Juanelo und ich haben für Euch gebürgt und erklärt, daß Ihr in einen der Wassergräben des Außenbereichs gefallen seid und die Strömung Euch mitgerissen hat. Leider wird das nicht reichen, um Euch von jeglichem Verdacht reinzuwaschen. Und erst recht nicht, um Artal de Mendozas Argwohn zu zerstreuen. Dafür werdet Ihr dem König einen Dienst erweisen müssen, den er zu schätzen wissen wird.‹
›Und wie soll ich das anstellen?‹
›De Mendoza bespricht sich in diesem Moment mit Seiner Majestät. Sie bereiten gerade eine Versammlung vor, die im Ratssaal stattfinden soll. Deshalb habe ich die Nachricht von Eurer Gefangennahme vor ihm erhalten. Ihr solltet an dieser Versammlung teilnehmen.‹
›Nackt?‹ Ich breitete die Arme aus, um ihm meine Blöße zu zeigen.
›Ich habe einen meiner Getreuen gebeten,Euch Kleidung zu besorgen. Und Seiner Majestät habe ich eine Mitteilung über Euch zukommen lassen. Er wünscht aus Eurem Mund zu hören, was Ihr Juanelo und mir erzählt habt. Das ist der sicherste Weg, um Euch hier herauszuholen. Alles Weitere hängt von Eurer Geschicklichkeit ab. Und denkt daran: Ihr werdet keine andere Gelegenheit mehr haben, beim König vorzusprechen.‹
›Was soll ich ihm denn erzählen?‹ fragte ich verwundert.
›An Stoff mangelt es Euch nicht. Was Ihr sagen oder verschweigen solltet, werdet Ihr im Laufe der Zusammenkunft sehen. Ich weiß noch nicht, wie die Tagesordnung aussehen wird, nach der langen Unterredung, die Seine Majestät gerade |439| mit de Mendoza hatte. Es darf jedenfalls nicht so wirken, als steckten wir unter einer Decke, und selbstredend darf niemand etwas von unserem nächtlichen Besuch der Bibliothek wissen. Und von dem Seiner Majestät noch viel weniger.‹
In diesem Augenblick war im Flur lautes Stimmengewirr zu vernehmen. Die Tür ging auf, und herein kamen mehrere Soldaten
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