Kryptum
Destillierapparate, an denen die verschiedenartigsten Retorten hingen.
Drei Heizer mühten sich mit dem gigantischen Blasebalg ab, der das Feuer im Ofen schürte, unterstützt von einem komplizierten Flaschenzug. Jedesmal, wenn sie wieder einen Luftstrom ins Feuer bliesen, schlugen die Flammen aus dem Ofen wie aus einem Vulkan, und der Saal füllte sich mit Rauch, der Augen und Kehle reizte. Ein Destilliermeister überprüfte gerade die bauchigen Kühlgefäße auf dem Alchemistenofen, fluchte laut und forderte dann einen Helfer schreiend auf, ihm einen neuen Kolben zu bringen.
|435| Doch mein Blick wurde vor allem von einem ungewöhnlichen Apparat angezogen. Auf einem Ziegelofen erhob sich ein Kuppelgehäuse aus geschlagenem Kupfer, mit dem mehrere Dutzend Destillationsblasen verbunden waren. Ich überschlug ihre Zahl schnell im Kopf, und mir schien, es waren über hundert. Ein wahrhaftiger Turm der Weisen stand da in der Mitte des Saals, so hoch und ausladend, daß ich etwas Vergleichbares nie für vorstellbar gehalten hätte. Er mußte über zwanzig Fuß hoch sein;drei Männer übereinandergestellt würden kaum seine Spitze erreichen und ihn auch nicht mit ihren Armen umfassen können.
Jetzt begann ich die strengen Sicherheitsmaßnahmen zu verstehen, das Mißtrauen der Einheimischen gegenüber dem, was hinter den Klostermauern vor sich ging, das Gerede über schwarze Hunde und Höllenschlunde, die Klimaveränderungen, die man dem Laboratorium zuschrieb, und all die anderen düsteren Mutmaßungen.
Aus der Bibliothek war ich entkommen, nur um schnurstracks auf ein noch größeres Geheimnis zu stoßen.
Geradewegs vom Regen in die Traufe, dachte ich bestürzt.
Ich versuchte, zum anderen Ende des Saals hinüberzuspähen, um zu sehen, ob sich dort ein Ausgang befand, durch den ich entkommen könnte. Aber von meinem Versteck aus konnte ich nichts erkennen, denn die Holzstapel verdeckten mir die Sicht. Ich rückte etwas zur Seite.
Da passierte das Unglück.
Als ich mich auf einem der Holzscheite abstützte, gab er nach und brachte auch die darüberliegenden zum Einsturz. Erschreckt duckte ich mich, als ich merkte, welcher Tumult entstand. Alles schrie und rannte aufgeregt durcheinander, und blitzschnell füllte sich der Saal mit Menschen. Schritt für Schritt wich ich gebückt zurück, bis ich wieder neben dem großen Wasserbecken stand, das die Kühlrohre speiste. Da sah ich, daß die Männer sich auf alle Gänge zwischen den Holzstapeln verteilt hatten und nun jeden Winkel absuchten. Es gab kein Entrinnen.
|436| Und schon packte mich eine Hand am Hals; man setzte mir ein Messer an die Kehle und zerrte mich aus meinem Versteck.
›Hab ich dich!‹ hörte ich meinen Häscher brüllen. Die Stimme kam mir bekannt vor, aber ich konnte sein Gesicht nicht sehen, denn er stand hinter mir.
Er stieß mich in die Mitte des Saals, wo er mich mit einem kräftigen Schlag zu Boden streckte. Als ich die Augen wieder heben konnte, erkannte ich, wer mich da geschnappt hatte: Es war Zenturio, der Soldat, mit dem ich mich unter dem Namen Pacheco einst in Antigua verbündet hatte.
›Na, sieh mal einer an, wen wir hier haben! Und dazu noch splitterfasernackt‹, höhnte er. ›Seid Ihr allein, oder habt Ihr auch Euren Esel dabei, der soviel schlauer ist als Ihr? Sicher hat Artal de Mendoza Euch viele Fragen zu stellen.‹
Aus diesem und etlichen weiteren Kommentaren schloß ich, daß er für den obersten Spion arbeitete. Zudem hörte ich aus seinen Worten heraus, daß Artal den König in den Escorial begleitet hatte, der sich in diesem Moment mit ihm beriet. Wenn ich ihm in die Hände fiel, bevor ich Philipp II. sprechen konnte, war ich verloren.«
Da unterbricht Ruth ihren Vater mit einer Frage.
»Wußte der Mann mit der silbernen Hand eigentlich, daß Ihr der Sohn jenes Álvaro de Castro seid, den er in der Sierra von Granada zu Tode foltern ließ?«
»Dieselbe Frage stellte ich mir damals auch. Bevor er sich mit Zenturio zusammengetan hatte, konnte Artal es nicht wissen. Doch vielleicht war es ihm ja aufgegangen, nachdem ihm das Großmaul die Geschichte mit meinen Gauklertricks erzählt hatte, mit denen ich Manuel Calderóns Vertrauen zu gewinnen suchte, um in die Casa de la Estanca zu gelangen.«
»Hattet Ihr Zenturio denn erklärt, was Ihr in der Casa de la Estanca suchtet?« will Ruth wissen.
»Natürlich nicht. Aber falls Zenturio ihm die Geschichte mit dem Eselchen erzählt hätte, wäre es für Artal nicht schwer
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