Kryptum
Rede konnte ich entnehmen, daß man sich über die Pläne für die weiteren Arbeiten im Escorial stritt, was mich mit großer Besorgnis erfüllte, da ich nicht begriff, was ich zu dieser Kontroverse beitragen sollte, es sei denn, man wünschte meine Meinung über die Größe der Kloaken und Faulkammern zu erfahren. Die könnte ich ihnen wohl darlegen, und zwar in aller Ausführlichkeit.
›Eure Majestät‹, erklärte der Architekt, ›ich finde, die Steinmetze haben den Anordnungen der Baumeister Folge zu leisten. Diese haben doch schon ganz andere Schwierigkeiten bewältigt, und sie kennen sich mit der Beschaffenheit des Bodens, den hiesigen Werkstoffen und dem Klima aus. Wenn ich im übrigen die Anweisungen, die Ihr mir im Laufe der Zeit gegeben habt, nicht mißverstanden habe, soll dieses Bauwerk sehr unterschiedlichen Zwecken dienen. Also habe ich die Bauart von Klöstern, Kirchen, Hospitälern, Schlössern und Burgen in ganz Spanien genau studiert. All das habe ich dann den neuesten architektonischen Erkenntnissen gegenübergestellt und beides miteinander in Einklang gebracht, so gut ich konnte.‹
Mit diesen Worten schien Herrera seine Ausführungen abgeschlossen |442| zu haben, doch kam er nicht umhin, resigniert hinzuzufügen:
›Natürlich kommen dann die Mönche mit immer neuen Bedürfnissen an. Und man weiß ja, wie verwöhnt die Hieronymiten sind, schließlich sind sie ja nicht irgendwer, o nein. Letztlich‹, brummte er, ›wird es darauf hinauslaufen, daß die spanischen Könige in einer Zelle hausen und die Mönche in einem Palast.‹
Der König bedeutete nun Arias Montano, dazu Stellung zu nehmen. Der Bibliothekar rief zunächst allen die feierliche Grabrede für Kaiser Karl V. ins Gedächtnis, die im Beisein Philipps II. einige Jahre zuvor in St. Gudula in Brüssel gehalten worden war. Es war dies eine berühmte Predigt des besten geistlichen Redners seiner Zeit, dem Bischof von Arras, François Richardot. Eine jener Reden, die eine Verpflichtung bedeuten, denn vor Europas erlesensten Trauergästen hatte der Prälat König Philipp aufgefordert, die Rolle eines neuen Salomo anzunehmen.
›Dies waren seine Worte‹, begann Montano, nahm ein Blatt zur Hand und las mit seiner wohlklingenden Predigerstimme: ›So wie König David, gebeugt von der so mannigfaltigen Mühsal, die ihm auferlegt worden war, seinen Sohn Salomo zum Nachfolger seiner Reiche erklärt hatte, in Gewißheit seines Muts und seines Wissens, so hat unser großer Kaiser, geschwächt von alten Leiden und neuen Gebrechen, die Bürde des Königreichs in die Hände seines Sohns übergeben … Kaiser Karl, der sich bereits nach Spanien zurückgezogen hatte, konnte an den Heldentaten vom Sankt-Lorenz-Tag feststellen, daß er die Verantwortung einem Fürsten übertragen hatte, der wie Salomo nach dem Tod seines Vaters David ebenfalls all seine Mittel und Kräfte einsetzen würde, um den wahren Tempel Gottes wiederaufzubauen, welches die Kirche ist …‹
Montano machte eine Pause, um die Wirkung seiner Worte abzuschätzen. Er wußte sehr wohl um die Tragweite, die ihnen nach dem Tridentinischen Konzil zukam, bei dem er sich als |443| brillanter Theologe hervorgetan hatte. Und er ließ sie noch eine Weile nachklingen, bevor er mit der umstrittensten Passage von Richardots Grabrede fortfuhr.
›Gott blickte wegen seiner Tugenden sehr wohlgefällig auf David, und dennoch erlaubte Er ihm nicht, Ihm einen Tempel zu errichten, und das nur, weil er ein Krieger war. Für den Bau wählte Er den friedfertigen Salomo. Wenn solches schon unter den Juden geschah, was soll dann für uns, die Christen, gelten? Sollten wir den Frieden nicht noch höher schätzen? Ich bin der Ansicht, nicht einmal den Türken sollte leichtfertig der Krieg erklärt werden, denn das Reich Christi wurde nicht mit Waffengewalt errichtet.‹
Seiner selbst sicher, legte Montano das Blatt auf den Tisch und fügte hinzu:
›Nie zuvor hat es so viele Friedensjahre hintereinander gegeben wie zu unserer Zeit. Und was tat Salomo, nachdem er zum König des Israel und Juda umfassenden Großreichs gesalbt worden war, welches er von seinem Vater geerbt hatte? Er ließ einen Tempel errichten, der die zwölf Stämme einen sollte. Denn die Kriege gehen vorüber und geraten oftmals sogar in Vergessenheit; aber die Bauwerke bleiben bestehen, wenn sie nur erhaben und prachtvoll genug sind. Ihr, Herr, habt ein sehr viel zersplitterteres Reich als Salomo zu einen, doch der erste Titel, den
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