Kryptum
und mich am Kragen packte, so daß ich mich vom Boden aufraffte. Er ließ mich jedoch nicht los, sondern nahm wortlos das geflochtene Band zwischen zwei Finger, das ich um den Hals trug und dessen Fäden nach all den Jahren nahezu ihre Farbe verloren hatten. Und plötzlich entdeckte ich, daß er ein identisches Band trug, und sah nun im Lichtschein der Fackeln auch die Narben auf seinem Gesicht, die von einem Brandeisen herrührten.
Im selben Augenblick setzte er zum Sprechen an. Und nicht etwa auf arabisch oder türkisch, nein, er sprach spanisch. Mehr noch: er nannte mich bei meinem richtigen Namen.
›Diego!‹ rief er. ›Erkennst du mich denn nicht? Ich bin es, Ishaq. Du hast mich immer Alcuzcuz genannt.‹
›Ishaq ben al-Kundhur!‹ brachte ich endlich stotternd hervor.
Da umarmte er mich, und ich sah, wie die grimmigen Männer um ihn herum lächelten, fast könnte man sagen wohlwollend, was mich ziemlich erleichterte.
Wie oft hatte mich die Erinnerung an ihn verfolgt, wenn ich an dem Band herumspielte, das die alte Maurin am Webstuhl für uns geflochten hatte, vor allem das Bild, wie er das Tor unseres Kastells öffnete, um seine blutrünstigen Glaubensbrüder einzulassen. Ich war verwirrt. Damals hatte er mein Leben geschont, und seit ich am eigenen Leib erlebt hatte, was es bedeutete, ein Sklave zu sein, konnte ich seine Beweggründe besser verstehen … Dennoch verstörte es mich, von einem Komplizen der Mörder meiner Familie umarmt zu werden.
Alcuzcuz befahl dem Kerkermeister, die Fußeisen aufzuschließen, und nahm mich dann mit zu sich nach Hause. Sobald ich mich dort gewaschen und ordentlich gekleidet hatte, sagte er:
›Laß uns gehen, hier können wir nicht in Ruhe reden, weil sicher gleich Grindschädels Leute kommen.‹
Er schlug vor, unser Wiedersehen in einer nahe gelegenen |509| Schenke zu begießen. Ich willigte ein, denn es brannte mir auf der Seele, ihm endlich die Frage zu stellen, die mir seit damals keine Ruhe ließ.
›Warum hast du das Tor zu unserem Kastell geöffnet?‹ fragte ich rundheraus, kaum daß wir einen Tisch gefunden hatten.
Wortlos starrte er mich über den Rand seines Weinkrugs an. Er nahm einen tiefen Schluck, wischte sich den Mund ab und verzog das Gesicht. Er wollte es mir nicht sagen. Ich ließ jedoch nicht locker.
›Warum habe ich das wohl gemacht?‹ antwortete er schließlich und zeigte auf die Narben in seinem Gesicht. ›Das hier werde ich mein Leben lang mit mir herumtragen. Wie kann ich das also je vergessen? Ich war dein Spielzeug …‹ Ich öffnete schon den Mund, um ihm zu widersprechen, aber er kam mir zuvor: ›Es stimmt, du hast mich immer wie einen Bruder behandelt, nicht wie deinen Sklaven. Aber nicht alle waren so. Falls es dich tröstet: Als ich den Mauren aus der Sierra Zugang zu eurer Festung verschaffte, wußte ich nicht, daß sie deine ganze Familie töten würden, um keine Zeugen für ihre Greueltat zu haben, und ebensowenig, daß jener vermummte Mann deinen Vater so grausam zu Tode foltern würde.‹
›Das hättest du dir doch denken können! Du warst weder dumm noch ungebildet. Mit deiner Abstammung hast du immer geprahlt, wenn es dir gerade zupaß kam …‹
›Mit dem Mann mit der silbernen Hand hatte ich nichts zu tun! Ich habe nur mit dem Anführer der Morisken gesprochen. Und meine Abstammung spielte weder damals noch heute eine Rolle. Hier in Algier fragt dich keiner danach, ebensowenig wie nach deiner Vergangenheit, deinem Geburtsort oder dem Gott, den du verraten hast.‹
›Natürlich! Hier lebt man ja auch vom Plündern, Rauben und vom Sklavenhandel …‹, wandte ich ein.
›So wie überall, Diego.‹ Es kam mir sonderbar vor, daß mich jemand so nannte, bei meinem wirklichen Namen. ›Nur daß man hier dazu nicht die Herkunft oder irgendwelche Titel vorschützt. Außerdem habt
ihr
für diejenigen, die bei der Verteilung |510| der Beute zu spät gekommen sind, ja immer noch Amerika. Nun, für die Leute, die du um uns herum siehst, ist das hier eben
ihr
Amerika. Das Mittelmeer ist ihr Vizekönigreich Peru. Gäbe es nicht die Berberei, wären sie dazu verurteilt, ebenso arm zu sterben, wie sie geboren wurden. Hier können sie es zu etwas bringen. Und das, ohne nach Salamanca oder Alcalá de Henares gehen und sich mit eurem Latein herumplagen zu müssen.‹
›Das kann man doch nicht vergleichen‹, versuchte ich uns Spanier zu verteidigen.
›Es ist nicht zu vergleichen, sagst du? Die Gebrüder Barbarossa haben als
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