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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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Ufer hinter uns aus seiner Verankerung löste und uns mit in die Tiefe riß, wobei ein Felsvorsprung dem Unglückseligen neben mir den Schädel zertrümmerte. Damit mich nicht dasselbe Schicksal ereilte, bemühte ich mich mit all meinen verbliebenen Kräften, mich am Korb festzuklammern und irgendwie über Wasser zu halten. Dann verlor ich das Bewußtsein.
    Als ich wieder zu mir kam, schmerzte mein ganzer Körper, und ich konnte mich kaum rühren. Um mich herum lagen die Überreste der Hängebrücke. Ich befand mich an der Mündung des Flusses, der in großen Schleifen durch den schneeweißen |504| Sand eines immensen Strandes ins Meer floß, und das Weiß des Sandes war so grell, daß mir alles wie eine einzige Sinnestäuschung vorkam. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch die Knochen, die überall, halb im Sand vergraben, herumlagen. Einige der Skelette waren größer als ein Reiter mitsamt seinem Pferd; sie mußten von einem riesigen Fisch stammen, der im Volksmund
Großer Tümmler
genannt wird und der unförmigste Bewohner der Meere ist. Manche sagen auch, daß es sich dabei um einen Walfisch handelt wie jenen, der Jonas verschluckte.
    Nicht weit von der Stelle, wo ich das Bewußtsein wiedererlangt hatte, entdeckte ich eine Art Heiligtum, eine Hütte, die aus den Rippenknochen jener Meeresbewohner errichtet und mit Zweigen und Ästen bedeckt worden war. Später erfuhr ich, daß an diesem Strand viele Tiere dieser Spezies starben, was dem Heiligtum zugeschrieben wurde. Mir jedoch schien, daß es an den starken Strömungen lag, die dort an der Küste auf sehr scharfe Klippen trafen und gegen die die Wale bei starkem Seegang schlugen, wobei sie sich so schwere Verletzungen zufügten, daß sie am Strand verendeten.
    Weit und breit gab es keinen anderen Schattenplatz, der mich vor der unbarmherzigen Sonne schützen konnte. Ich schleppte mich also dorthin und verkroch mich im Inneren der Hütte, um darauf zu warten, daß die drückende Hitze nachließ. Bald wurde ich jedoch von Müdigkeit übermannt, und ich schlief ein.
    Die Spitze eines Krummsäbels auf meiner Brust weckte mich. Als ich die Augen aufschlug, erblickte ich mehrere bewaffnete Männer, von denen einer eine Armbrust auf mich gerichtet hielt. Der, der mir seinen Säbel gegen die Brust drückte, zeigte auf meine linke Hand, und aus seinen Worten schloß ich, daß er das Feuerzeichen erkannt hatte, das mir Fartax hatte einbrennen lassen. Hinter ihnen sah ich ein Beiboot am Strand liegen, und auf dem offenen Meer wiegte sich ein Schiff mit gerefften Segeln. Sie starrten mich lange an, und dann berieten sie sich. Ich fürchtete das Schlimmste. Und ich täuschte |505| mich nicht. Es waren Berberkorsaren, die Wasservorräte einnahmen für ihre Rückfahrt nach Algier. Und so kam es, daß ich, mein Pech verfluchend, erneut in Gefangenschaft geriet.
    Algier sah nicht bloß bedrohlich aus, es rief augenblicklich Grauen hervor. Das erste, was ich zu sehen bekam, kaum waren wir am Hafen an Land gegangen, ließ mir die Haare zu Berge stehen, obgleich ich eigentlich geglaubt hatte, mich könne nichts mehr schrecken. Womöglich zeigte man mir und den anderen Gefangenen dieses Schauspiel, damit wir wußten, was uns erwartete, sollten wir zu fliehen versuchen.
    Man hatte gerade einige Gefangene aufgespürt, die sich mehrere Monate in einer Höhle verborgen gehalten hatten, um auf ein Boot zu warten, mit dem sie fliehen konnten. Sie waren bis auf die Knochen abgemagert und totenbleich, und wegen der Feuchtigkeit in ihrem Versteck husteten sie, einem von ihnen fehlte zudem ein Arm. Eine Bande zerlumpter und kahlgeschorener Maurenjungen sprang um sie herum und sang in gebrochenem Spanisch Spottverse, mit denen ihnen jede Hoffnung auf einen Freikauf durch Don Juan de Austria genommen wurde.
    Ein stämmiger Berber verscheuchte die kleinen Jungen mit Fußtritten. Dann packte er den Anführer der Flüchtlinge, einen schmächtigen Gärtner, der ihnen das Versteck in der Höhle besorgt hatte, und spießte ihn auf einen Haken. Das war in Algier die häufigste Foltermethode. Sie nahmen dazu einen spitzen, gebogenen Haken, wie man ihn zum Abhängen von Schlachtvieh verwendet, und ließen den Gefangenen daran hängen, bis er qualvoll irgendwann starb. Der Gärtner wand sich so verzweifelt, daß sie ihm den Haken unglücklicherweise in ein Auge stießen. So hängten sie ihn an einen Balken, wo ihm, der zappelte und vor Schmerz brüllte, ein fürchterlicher Todeskampf

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