Kryptum
vielleicht gefällt es ihr ja dort. Und du kommst mit. Alexandria ist von Kairo nicht weit entfernt. Dort suchen wir diese verdammten Bücher, und dann kannst du nach Spanien zurückkehren und sie Philipp II. oder meinetwegen auch dem Priester Johannes übergeben, um danach endlich in Ruhe und Frieden mit deiner Frau und deiner Tochter zu leben.‹
|515| Es war ein derart großzügiges Angebot, daß eine Ablehnung einer schweren Kränkung gleichkommen würde, die mich Kopf und Kragen kosten konnte. Trotzdem versuchte ich es und bat Alcuzcuz um Vermittlung, doch er wollte mich nicht einmal anhören. Bis zum Tag der Abreise versuchte ich dieser unerwarteten Protektion zu entkommen, die meine Pläne zunichte machen und mich ins Unglück stürzen konnte. Vergebens. Man erlaubte mir lediglich, Rebecca und dir eine Nachricht zukommen zu lassen, die euch von meinem Geschick und dem neuerlichen Aufbruch in Kenntnis setzen sollte. Einer von Fartax’ Kryptographen prüfte das Schreiben, um sicherzugehen, daß es keine verschlüsselte Botschaft enthielt, und dann durfte ich es einem spanischen Mönchsritter übergeben, der dem Orden der Mercedarier angehörte, die in Algier in Sklaverei geratene Christen freikauften.«
»Diese Nachricht haben wir nie erhalten«, unterbricht ihn Ruth.
»Ich weiß, mein Kind, ich weiß. Ich hätte wissen sollen, daß all diese Sendungen durch Artals Hände gingen und daß er sie abfangen würde. Und nicht nur das. Später ging mir auf, daß eigentlich nur dieser Mönchsritter ihm hinterbracht haben konnte, daß ich kein gewöhnlicher Gefangener war, sondern Alcuzcuz und Grindschädel in Freundschaft verbunden schien, diesen beiden größten und gefährlichsten Korsaren des Mittelmeers, die die spanischen Schiffe unaufhörlich angriffen, offiziell zumindest. Womit ich mir selbst die Falle für meine Rückkehr bereitete. Denn da ich ja schon einmal vom wahren Glauben abgefallen und zum Judentum übergewechselt war, war es für Artal nicht weiter verwunderlich, daß ich wieder abtrünnig wurde und zum Islam übertrat. So einfach war das, wenn man jemanden der Inquisition überantworten wollte.
Von all dem ahnte ich indessen noch nichts, als Algier und Alcuzcuz, der uns am Kai verabschiedet hatte, langsam kleiner wurden. Auf unserer Seereise mußte ich dann mit ansehen, wie sehr Ali Fartax dem Alkohol verfallen war. Seine Mutter mahnte ihn immer wieder zur Mäßigung, aber meine Anwesenheit |516| schien das Bedürfnis in ihm zu wecken, mir seine sämtlichen Heldentaten aufzutischen. Und je mehr er mir erzählte, desto bewußter wurde mir, daß er die Blüte seiner Jahre hinter sich hatte und der unmittelbare Verfall bevorstand. Und es war auch ihm bewußt, denn er war ebenso hellsichtig wie Alcuzcuz, wenn nicht gar hellsichtiger, und zudem weitaus belesener, denn diese Gewohnheit pflegte er nach wie vor.
So erreichten wir schließlich Alexandria. Nach dem großen Empfang, den man ihm dort bereitete, hoffte ich, Fartax würde sein Angebot vergessen, mir bei der Suche nach Cansinos’ Büchern behilflich zu sein. Doch ich täuschte mich. Sobald er seine Mutter untergebracht hatte, schickte er einen bewaffneten Reitertrupp mit einer Nachricht zum Wesir von Kairo. Als ich ihn davon abbringen wollte, unterbrach er mich auch schon.
›Du mußt mir dafür nicht danken. Ich mußte ihn sowieso von meiner Ankunft unterrichten.‹
Er nahm mich mit zu einem Küstenort, wo sich einige andalusische Flüchtlinge niedergelassen hatten. Er besaß dort ein Haus, das seine Mutter bewohnen sollte, sofern ihr Klima und Menschen dort genehm waren. Je näher wir kamen, desto mehr staunte ich, was jene Morisken mit ihrem unermüdlichen Fleiß erreicht hatten. Sie hatten den Ort zu einem einzigen großen Garten gemacht. Die Weinstöcke gediehen prächtig, mit Trauben so dick wie Lämmerschwänze. Und auch die Pistaziensträucher, Kirsch- und Johannisbrotbäume trugen viele Früchte und waren sorgfältig beschnitten. Doch was den Anblick des Gartens beherrschte, waren die allgegenwärtigen Olivenbäume. Dort verstand ich, was das Mittelmeer ausmachte. Wir saßen auf der Dachterrasse seines Hauses, umweht von der salzigen Meeresbrise, die sich zwischen den mit Olivenbäumen bedeckten Hügeln verlor, als Fartax mit weit ausholender Geste auf die Weite vor uns deutete und sagte:
›Vom ersten Olivenbaum, den man sieht, wenn man vom Norden Europas herabkommt, bis zu den Palmenhainen hier im Süden, die dem Vorrücken der
Weitere Kostenlose Bücher