Kryptum
Wegelagerer angefangen und lebten und herrschten schließlich wie Könige. Glaubst du, der Sultan von Konstantinopel wußte nicht ganz genau, wer sie waren und welchem ›Gewerbe‹ sie nachgingen?‹
›Vielleicht ist das ja in Konstantinopel so, aber doch nicht in Spanien …‹
›Nun, es gibt da etwas, das du wissen solltest. Kaiser Karl V. versuchte Cheir-ed-Din Barbarossa mit dem Versprechen zu locken, daß er ihn zum König der Berberei ernennen würde, wenn er sich ihm anstatt dem Sultan von Konstantinopel unterstellte. Du selbst warst Grindschädels Gefangener. Glaubst du, euer König, Philipp II., wäre nicht bereit, ihm dasselbe Angebot zu unterbreiten? Solange sie sich dir entgegenstellen und deinen Interessen zuwiderhandeln, gelten sie als Banditen. Wenn sie aber zu dir überlaufen, dann betrachtest du sie auf einmal als Adelige. Wann hört jemand auf, Korsar, Straßenräuber oder Strauchdieb zu sein, und wird zum Ehrenmann?‹
Ich wußte keine Antwort.
›Wie soll man entscheiden, wer würdig ist, ein König zu sein?‹ fuhr er fort. ›Ist es der, der die meisten Menschen auf dem Gewissen hat? Oder der älteste? Der schönste? Der beste Trinker? In diesem Fall würde ich gewinnen!‹ Lachend deutete er auf seinen Weinkrug. ›Mach die Augen auf, Diego! Es spielt keine Rolle, wie ein König zur Herrschaft gelangt, ob durch Erbfolge, Wahl oder Usurpation, ob mit Waffengewalt, |511| einer List oder welchen Tricks auch immer … solange er nur gerecht ist und gut regiert. Auf dem Thron von Algier haben bereits Herrscher gesessen, die ihr euch sehnlichst gewünscht hättet für eure christlichen Reiche.‹
In diesem Moment kam ein Junge mit einem Weidenkorb voller Sardinen herein. Sie waren so frisch, daß einige davon noch heftig zuckten. Ishaq rief den Burschen herbei und griff eine Handvoll heraus.
›Siehst du diese Fische?‹ sagte er zu mir. ›Welchem Land gehören sie? Es liegt viel zuviel Wasser zwischen all den Ländern des Mittelmeeres, als daß die Grenzen so starr sein könnten, wie es ihr Spanier mit eurer Ehre und eurer
Reinheit des Blutes
behauptet. Das hier ist ein Meer, dessen Wasser so wallt, wie die Fische in diesem Korb zappeln. Und Algier ist das Herz dieses Korbes. Hier brodelt das Meer.‹
Er suchte noch ein paar weitere Sardinen von denen aus, die obenauf lagen, und nachdem er bezahlt hatte, trug er dem Jungen auf, sie zum Koch zu bringen, damit er sie für uns in die Kohlenglut legte.
Ich hatte Alcuzcuz schon immer für klug gehalten, aber ich wußte nicht, daß er so redegewandt war. Um seinem Wortschwall ein Ende zu bereiten, scherzte ich:
›Zumindest stotterst du nicht mehr …‹
›Du hast recht.‹ Er lachte. ›Ich höre mich schon an wie dein Vater, wenn er mich von den Tugenden des Christentums überzeugen wollte, damit ich zu eurem Glauben übertrete … Aber sag, was führt dich hierher? Du bist doch nicht etwa ein Spion? Falls ja, hast du Pech, denn hier sind bereits alle Stellen besetzt. Es gibt in Algier mindestens ebenso viele wie in Konstantinopel und Ragusa zusammengenommen.‹
Da erzählte ich ihm, was vorgefallen war, hütete mich aber, ein Wort über den eigentlichen Zweck meiner Erkundigungen zu verlieren, den er jedoch sicher erahnte, denn er war über sehr vieles auf dem laufenden.
›Man glaubt also‹, faßte er zusammen, ›daß du es warst, der den Spaniern von den Geschenken dieses Kaufmanns aus Fes |512| erzählt hat, welche sie dann in der Nähe von Melilla erbeuteten. Eine wunderbare Bestechungsgabe angesichts Fartax’ Schwäche für wertvolle Bücher. Der Grindschädel wird fuchsteufelswild werden, wenn er erfährt, daß du deine Finger im Spiel hast.‹
›In welcher Beziehung stehst du zu ihm?‹
›Ich bin sein Statthalter, wenn er auf Kaperfahrt ist.‹
›Du? Euldj Alis zweiter Mann?‹ Ich war verblüfft.
›Wieso wundert dich das? Was hast du denn geglaubt, wer uns bei den Aufständen in der Sierra von Granada unterstützte? Es war Fartax, der die Hoffnung der Morisken in den Alpujarras bis zuletzt aufrecht hielt.‹
›Artal de Mendoza macht also mit Euldj Ali gemeinsame Sache, wenn es seinen Interessen nützt‹, dachte ich laut, ›es ist nicht zu fassen! Der oberste Spion König Philipps II. spricht sich heimlich mit dem Admiral des Sultans von Konstantinopel ab … und hat in Granada dann Grindschädel und dich für den Überfall auf unser Kastell benutzt. Und später auch Euldj Alis Galeeren, um das Schiff zu entern,
Weitere Kostenlose Bücher