Kryptum
Kahns plötzlich gegen ein Hindernis. Randa schreckt auf. Über ihm sind die reich verzierten Bogen verschwunden. Ein dunkler Schatten erhebt sich vor ihm. Die Fundamente der Kathedrale. Der Mut verläßt ihn bei dem Gedanken, daß er nun dieses steinerne Ungetüm über sich hat, welches ihm den Weg versperrt. Der einzige Durchgang führt an einem Abgrund vorbei. Tief unten hört er das Wasser rauschen. Doch wie soll er diesen Schlund überwinden?
Er rudert dicht an der Mauer entlang, die der Zisterne als Stauwehr dient. Am Rand des Abgrunds schwenkt er die Fackel, um irgendeine Möglichkeit zu entdecken, wie er hinüberkommt, ohne in die Tiefe zu stürzen. Nichts. Gegen den Schwindel ankämpfend, der ihn erfaßt hat, rudert er schnell ein Stück zurück und bindet den Kahn an einen aus der Begrenzungsmauer vorspringenden Felsen.
Sie waren auf einen riesigen Haufen Knochen gefallen, der den Aufprall so sehr gedämpft hatte, daß sie bis auf ein paar Schrammen unverletzt geblieben waren. Lazos Plan folgend, liefen David und Rachel nun durch einen bis oben hin mit Knochen gefüllten Stollen, der in eine große Höhle mündete. Vor ihren staunenden Augen breitete sich ein riesiger See aus. Was war das? Eine Zisterne? David leuchtete das Wasser ab. Ein paar Meter weiter entdeckte er einen Holzkahn, der an einer steinernen Säule vertäut war. Er half Rachel hinein. Sprachlos ruderten sie durch die hohen Säulengänge der einstigen Großen Moschee von Antigua. Nach einer Weile erblickten sie vor sich die Fundamente der Kathedrale, an die die dicke Mauer der Plaza Mayor grenzte, die die dunklen Wassermassen zurückhielt. Dahinter öffnete sich jedoch eine breite |710| Spalte im Mauerwerk, durch die das Wasser in die Tiefe stürzte. Schnell ruderten sie nah an die Mauer heran, um nicht von der Strömung mitgerissen zu werden. Plötzlich prallten sie gegen ein Schlauchboot, das an einem Mauervorsprung festgebunden war.
»Wenn das Boot, in dem wir sitzen, Lazo gehört, von wem ist dann dieses?« fragte David.
»Von meiner Mutter«, antwortete Rachel mit bebender Stimme und zeigte auf die Gegenstände, die Sara darin zurückgelassen hatte. »Sie muß hier ihren Rucksack ausgeräumt haben, bevor sie weitergegangen ist.«
»Aber wohin?« fragte David kopfschüttelnd.
»Irgendwie muß man diesen Abgrund da vorne überqueren können. Vielleicht auf der Mauer?«
Sie vertäuten ihren Kahn neben Saras Schlauchboot und kletterten hinauf auf den steinernen Steg, der die Zisterne begrenzte. Damit ihnen nicht schwindlig wurde und sie nicht stolperten, leuchteten sie mit ihren Taschenlampen immer genau vor die Füße auf den schmalen Rand des Stauwehrs.
Unvermittelt blieb David stehen und bedeutete Rachel, die hinter ihm ging, ebenfalls stehenzubleiben. Mit der Taschenlampe leuchtete er in die Dunkelheit. Auf die Begrenzungsmauer vor ihnen war etwas heruntergestürzt. Vorsichtig näherten sie sich dem unerwarteten Hindernis. Es war der Sockel eines uralten Turms, der auf Hunderten von Holzpfählen ruhte, die im Laufe der Jahrhunderte nachgegeben haben mußten, so daß er sich allmählich über den Abgrund geneigt hatte, bis er ganz umgekippt war, ohne dabei jedoch zu Bruch zu gehen. So lag er nun in der Horizontalen und bildete eine Art Brücke über den Abgrund.
Auf den ersten Blick sah er noch ziemlich intakt aus. Nur der spitze Turmhelm, der auf der anderen Seite des Schlunds auflag, hatte gelitten;er mußte hoch oben im Gewölbe den Fall des Turms abgebremst haben und war deshalb von gewaltigen Rissen durchzogen.
»Jetzt verstehe ich, warum meine Mutter ihren Rucksack |711| erleichtert hat«, sagte Rachel. »Glaubst du, dieses Minarett hält unser Gewicht aus, wenn wir darüberklettern?«
»Ich bin mir da nicht so sicher«, antwortete David. »Aber uns bleibt keine andere Wahl, als es auszuprobieren.«
Der Turm bestand aus drei Teilen. Direkt vor sich sahen sie den soliden steinernen Sockel, der wie ein Rammbock gegen die Begrenzungsmauer der Zisterne drückte. Danach nahmen seine Mauern dann die Form eines Achtecks an. Etwa in der Mitte über dem Abgrund verschlankte sich das achteckige Ziegelwerk zu einem sechzehnzackigen Stern, der schließlich in den spitzen, rissigen Turmhelm überging. Die Ecken des Minaretts waren durch Auskragungen verstärkt, die sicher dazu beigetragen hatten, das Gewicht, das auf der großartigen Konstruktion lastete, gut zu verteilen und das Ganze so stabil zu halten. Nun würden sie ihnen sehr
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