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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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sie mit einem Blick auf ihren Kompaß erkennen konnten, führte er sie nun in Richtung Alkazar, um in einem Bogen eine zyklopische Mauer zu umgehen, Teil der unter der Plaza Mayor liegenden Festungsmauern, an deren nordöstlicher Ecke sie auf eine in den Fels geschlagene Nische stießen. Darin lagen ein Arbeitsoverall und ein Metallkoffer. Als Rachel ihn öffnete, fand sie drei Taschenlampen, mit Isolierband umwickelte Batterien, einige Werkzeuge und in einer Plastikhülle einen vollgekritzelten Plan. Kein Zweifel: es war die Handschrift des ehemaligen Hausmeisters.
    »Hier ist Lazo also herunter«, sagte David. »Und hier hat er wohl auch die Fotos gemacht, die er mir Samstagnacht gezeigt hat.«
    »Wie gut, daß wir nicht länger gewartet haben«, meinte Rachel, »sonst hätte Minspert uns sicher den Plan weggeschnappt.«
    David faltete den Plan auseinander, damit sie sich darüber beugen konnten, als sie auf einmal ein Poltern zusammenzucken ließ, das nicht enden wollte.
    »Hört sich wie ein großer Stein an«, versuchte David Rachel zu beruhigen, die ihn instinktiv am Arm gepackt hatte.
    »Glaubst du … glaubst du, sie sind hinter uns her?«
    Sie sahen sich um, aber sie konnten sich nirgends verstecken. Sie schalteten ihre Taschenlampen aus und drückten sich gegen die Wand.
    Das Poltern wurde allmählich schwächer. Was auch immer es war, es schien nicht auf sie zuzukommen, sondern sich immer |703| weiter zu entfernen, hinab in die Tiefen, die sie erforschen wollten und aus denen ein schwacher Glanz heraufdrang, ein unwirkliches Licht. Wie aus einer anderen Welt, einer anderen Zeit.
    Nachdem er mit dem selbstgebastelten Dietrich die Zellentür aufgesperrt hat, ist er den Gang zu den unterirdischen Gewölben entlanggegangen, wie Ruth es ihm erklärt hat. Nun bleibt Raimundo Randa stehen und stellt seine Laterne auf den Boden vor der Wand. Er hat den in den Wandteppich eingewebten Plan studiert und dann die Mauer abgetastet, um die richtige Stelle zu finden. Mal mit beiden Händen, mal mit der Schulter hat er gedrückt, bis zwei übereinanderliegende Quadersteine sich aus den Fugen gelöst haben und auf der anderen Seite zu Boden gestürzt sind.
    Durch das Loch kann er in den geheimen Stollen klettern. Er weiß nur zu gut, daß seine einzige Fluchtmöglichkeit in diesem Weg hinab in die Tiefen besteht. Um zu den Kellergewölben des Convento de los Milagros zu gelangen, wird er sich an den Geheimkerkern der Inquisition vorbeischleichen müssen. Möglich, daß der Fall der beiden Steine die Wachen alarmiert hat. Vielleicht haben sie es aber auch nicht gehört oder glauben, daß sich wieder irgendwo ein paar Steine von der Decke gelöst haben.
    Schon bald erreicht er das Hoheitsgebiet jener finsteren Zunft, wie er an den überall herumliegenden Halseisen, den Hand- und Fußschellen, den verrosteten Eisenstangen und etlichen blutdurchtränkten Stricken sehen kann. Der Lichtschein seiner Laterne gleitet über die rötlichen Ziegelsteine zwischen dem übrigen Mauerwerk zu den feucht glänzenden Abflußrinnen. Sein Blick fällt auf einen eisernen Käfig. Darin – ein Skelett.
    Schnell geht Randa weiter, bis er in einem großen Raum steht. Er sieht sich um. Ihn schaudert. Überall nur Folterwerkzeuge: der Spanische Block, Winden, Daumen-, Bein- und Schädelschrauben, Zangen, Peitschen, Ketten, Sägen, Beile, |704| Trichter, Gewichte, Räder, mit Nägeln gespickte Stühle, Brandeisen … Boden und Wände sind von Blutspritzern übersät. Randa kämpft gegen die Übelkeit an, die in ihm aufsteigt. Er muß einen kühlen Kopf bewahren, um den Verbindungsgang zum Kloster zu finden, ohne daß ihn eine der Wachen bemerkt, die sicherlich irgendwo ganz in der Nähe schlummern. Handbreit um Handbreit muß er die Wände abtasten, um den geheimen Durchgang zu entdecken.
    Seine Anstrengungen sind jedoch vergeblich. Nirgends läßt sich ein Stein bewegen, nirgends ist eine geheime Tür zu entdecken. In der letzten Ecke untersucht er schließlich einen Haufen Steine. An dieser Stelle ist die Decke eingestürzt. Die heruntergefallenen Trümmer reichen fast bis ganz hinauf. Während er mit seiner Laterne den Schutt ableuchtet, hört Randa ein Geräusch. Ein verzweifeltes Kratzen auf dem Boden.
    Er richtet den Schein der Laterne auf die Stelle, wo das Geräusch herkommt. Aber er sieht nichts. Als er einen Schritt zur Seite macht, hört er ein schrilles Quieken, und eine Ratte schnappt wütend nach ihm, weil er ihr auf den Schwanz

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