Kryptum
Calderóns doch solche Klugscheißer seid. Unser Direktor wurde ja auch nie müde, euch über den grünen Klee zu loben. Uns andere vergaß er darüber vollkommen, immer nur hieß es: Calderón hier, Calderón da, nehmt euch ein Beispiel an den Calderóns …«
In seiner Stimme lag Hass, tiefer Hass.
»Das ist der wahre Minspert, der da zum Vorschein kommt«, flüsterte David Rachel ins Ohr. »Er will mich provozieren, damit ich ihm antworte und er dann weiß, wo genau wir uns befinden. Halte durch, wir haben es gleich geschafft.«
Sie waren fast am Ende angekommen und sahen schon den Turmhelm vor sich, der auf der anderen Seite des Abgrunds auf der Stützmauer auflag.
Minspert und Kahrnesky mußten das ahnen, denn sie krochen nun ebenfalls schneller. Als David und Rachel schließlich in den Turmhelm robbten, mußten sie feststellen, daß die Risse darin mit jedem Schritt breiter wurden, durch die sie schon die rettende Mauer auf der andere Seite sehen konnten. Es fehlten gerade noch drei Meter.
Doch im selben Moment begann das Minarett immer heftiger zu vibrieren, und David und Rachel begriffen, daß es bald einstürzen und sie allesamt mit in den Abgrund reißen würde.
»James! Zurück! Soviel Gewicht hält das hier nicht aus!« schrie David.
Aber Minspert hörte nicht auf ihn. Gleich darauf fiel ein Lichtkegel auf sie herab. Durch einen breiten Spalt im Mauerwerk sahen sie, wie Minspert über ihnen auf sie zielte, während Kahrneskys Kopf sich nun ebenfalls über das Loch beugte. Er zitterte, und sein ausgemergeltes Gesicht sah leidender aus denn je.
|717| »Nicht schießen, James! Es sind schon viel zu viele Leute umgekommen. Und wir brauchen die beiden!«
Immer mehr Ziegel lösten sich unterdessen von dem immer stärker bebenden Minarett und fielen in die Tiefe. Durch eine neue Öffnung konnten sie nun einen Felsvorsprung sehen, der etwas unterhalb der Stelle hervorragte, wo der Turmhelm auflag.
»Siehst du den Felsen dort?« raunte David Rachel zu.»Mach dich fertig zum Springen.«
Die beiden jungen Leute nahmen Anlauf und landeten sicher auf der anderen Seite. Dabei wurde der Turm über dem Abgrund erneut stark erschüttert, wodurch Minspert und Kahrnesky beinahe abgestürzt wären.
Vom sicheren Felsenvorsprung aus streckte David ihnen die Hand entgegen.
»Springen Sie!« rief er. »Du auch, James, sei kein Idiot!«
Aber Minspert richtete erneut die Waffe auf sie. Kahrnesky hingegen überlegte es sich nicht zweimal und sprang. Da fiel ein Schuß, der ihn am Rücken streifte, so daß er beinahe in den Abgrund gestürzt wäre, wenn David und Rachel ihn nicht schnell gepackt hätten.
»Verdammt, James, wirf die Waffe weg und spring!« schrie der Kryptologe Minspert zu, der zornesrot das Visier des Gewehrs nun direkt auf David gerichtet hatte. Die Hand am Abzug, richtete er sich jetzt auf dem immer stärker schwankenden Turm auf und drückte ab.
Doch der Schuß ging daneben, denn im selben Moment war ein lautes Knirschen zu hören, und der über dem Abgrund hängende Turm brach mit großem Getöse mitten entzwei und riß Minspert mit sich in die Tiefe, der markerschütternd schrie, bis er auf einem Felsvorsprung aufschlug, was seinem Leben ein Ende bereitete. Danach hörten sie nur noch, wie sein lebloser Körper nach unten hin an den Felsen abprallte, bevor er schließlich irgendwo in der Tiefe ins Wasser fiel. Und dann nur noch Stille.
Eine Stille, die sie erleichtert aufatmen ließ.
|718| Kahrnesky war schwer verletzt. David gab ihm aus seiner Feldflasche zu trinken, während Rachel in ihrem Rucksack nach Verbandsmull kramte.
»Lassen Sie, da ist nichts mehr zu machen«, flüsterte der totenbleiche Mann. »Ich hätte mich eben nicht von Minspert erpressen lassen sollen … Aber das alles hat mir viel bedeutet … fast soviel wie Pedro und Sara …«
»Was meinen Sie damit?« fragte Rachel neugierig.
»Ich beneide Sie, denn Sie beide werden vielleicht das sehen, wonach ich mein ganzes Leben lang gesucht habe. Hören Sie zu … Sie müssen von jetzt an ganz besonders vorsichtig sein … Sie müssen sich vor dem schützen, was sie dort unten erwartet, bevor es zu spät ist …«
»Uns schützen? Vor was? Und wie?«
»Indem Sie sich im Labyrinth genau an die Anweisungen halten.«
»Die Verse der Thron-Sure?«
»Genau … Weichen Sie nicht davon ab, denn in den anderen Gängen lauern unheimliche Gefahren … Sie dürfen aber auch keinen Schritt überspringen, denn darunter liegt letztlich
Weitere Kostenlose Bücher