Kryptum
getreten ist. Er hebt den Fuß, worauf das Tier durch ein Loch in dem Steinhaufen davonhuscht.
Die Ratte würde dort nicht verschwinden, wenn es dahinter nicht einen Ausgang gäbe, denkt Randa und geht zurück zu der Stelle, wo er zuvor ein paar Eisenstangen gesehen hat, mit denen er dann beginnt, den Haufen aus Ziegeln, Mörtel und Holz leise beiseite zu räumen. Die Mühe lohnt sich:Nach einer Weile entdeckt er in der Wand vor sich eine Öffnung, die von Menschenhand geschaffen scheint.
Wenn ich dort hindurchkriechen und das Ganze hinter mir wieder zuschütten kann, denkt sich Randa, wird niemand wissen, daß ich hier entkommen bin. Niemand wird mir folgen.
Und so gräbt er ein Loch durch die Trümmer, das er mit ein paar der Metallstangen abstützt, robbt hindurch, und nachdem er sich vergewissert hat, daß dahinter tatsächlich ein Gang weiterführt |705| , dreht er sich um und zieht die Eisenstützen heraus. In einer Staubwolke krachen die Trümmer hinter ihm herunter. Und verschließen den Durchgang aufs neue.
Rachel und David nahmen gerade die verrosteten, uralten Folterinstrumente näher in Augenschein, als sie auf einmal ein neues Geräusch unter sich vernahmen. Es hörte sich an wie das dumpfe Prasseln von unzähligen Ziegeln und Balken und klang irgendwie hohl, ganz anders als das vorherige Poltern.
»Da scheint etwas zusammenzustürzen …«, sagte Rachel erschreckt, »und es ist ganz in der Nähe. Glaubst du, daß meine Mutter das vielleicht verursacht hat?«
»Ich weiß es nicht, Rachel.« David blickte auf Gabriel Lazos Plan, auf den er den Kompaß gelegt hatte. »Wir befinden uns inzwischen unter der südöstlichen Ecke der Plaza Mayor. Der Gang führt gegen den Uhrzeigersinn um sie herum, immer tiefer, wie ein Korkenzieher. Und immer wieder stoßen wir auf diese Mauer, die uns den Zugang unter den Platz versperrt. Lazos Notizen zufolge kommen wir gleich zu den Kellern unter dem Convento de los Milagros.«
Kurz darauf betraten sie eine große Höhle. In der gegenüberliegenden Ecke entdeckten sie einen großen Haufen aus Mauerwerk und Erde.
»Paß auf, das ist erst vor kurzem passiert«, warnte David und leuchtete mit seiner Taschenlampe nach oben. »Die Decke hier ist in sehr schlechtem Zustand. Das ist verdammt gefährlich.«
Doch Rachel ließ sich nicht davon abbringen, in dem Schutt herumzustochern, während David die Wände ableuchtete. Der Schrei der jungen Frau ließ ihn herumschnellen.
»David! Schau! Das sind die Augentropfen, die meine Mutter benutzt«, rief sie bestürzt und streckte ihm ein kleines Plastikfläschchen entgegen.
»Hm … Dann ist sie also hier entlanggekommen.« David drückte mitfühlend Rachels Hand, die inzwischen eiskalt war. »Vielleicht ist sie ja doch durch die Kellergewölbe vom Kloster |706| herabgestiegen. Immerhin zeigt es, daß unsere Vermutung stimmt.«
Sie begannen, die Steine beiseite zu räumen. Dahinter lag eine Treppe, die sie hinabführte zu einem langen Gang, den sie entlangliefen, bis sie eine große Halle betraten, über die sich ein gewaltiges Tonnengewölbe spannte, das in der Mitte von winzigen Luken durchbrochen war, durch die etwas Licht hereinfiel. Sogar am Boden konnten sie den Luftzug noch spüren, der die Spinnweben an der Decke blähte. An einer der Wände lehnte eine Leiter aus verfaultem Holz, um deren Sprossen sich fasrige Stricke wanden, an denen noch ganz schwach ockerfarbene und rötliche Spuren zu entdecken waren, vielleicht getrocknetes Blut.
Die mit Moos überzogenen Mauern wie auch die Decke schwitzten Feuchtigkeit aus. Es roch nach Urin, und man hörte das Wasser in der weitverzweigten Kanalisation der Stadt rauschen, die Maliaño zufolge ein so kompliziertes Geflecht darstellte, daß es keinen exakten Plan all dieser Abwasserkanäle, Zisternen und Abflüsse gab. Vor langer Zeit mußten die Nonnen diese unterirdische Halle als Wäscherei benutzt haben. An einer Seite standen noch die steinernen Waschtröge, in denen sich alte Kübel und Tonkrüge, verrostete Dreifüße und etliche Waschbretter stapelten. Der holprige und mit allerlei Gegenständen übersäte Boden zwang David und Rachel, sorgsam darauf zu achten, wohin sie ihre Füße setzten, als sie die Halle durchquerten. Die Säulen waren von oben bis unten mit Rissen durchzogen, und einige Quader des Tonnengewölbes waren lose und drohten jeden Moment herabzustürzen.
Vor ihnen zeichnete sich die dritte, südwestliche Ecke der Mauer um die Plaza Mayor ab. Sie
Weitere Kostenlose Bücher