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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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nützlich sein, denn sie bildeten breite Furchen, an deren Rändern sie sich festhalten konnten.
    Vorsichtig kletterten sie nun über den viereckigen Sockel hinauf auf das umgekippte Minarett und begannen dann hintereinander über diese improvisierte Brücke zu kriechen, entlang den fein ausgestalteten Arabesken und Keramikornamenten. Bald merkten sie, daß der Übergang vom oktogonalen Teil zum Stern mit seinen sechzehn Zacken am schwierigsten sein würde, da dort die Strebepfeiler in ein Ziegelfries übergingen. Nur daran würden sie sich festhalten können. Als David das Fries auf der Suche nach hervorstehenden Ziegeln abtastete, hielt er überrascht inne. Es waren die Verse der Thron-Sure!
    Hoffentlich bringen sie uns Glück, wie es sich für diesen Talisman gehört, dachte er, bevor er sich zu Rachel umdrehte, die einige Meter zurückgeblieben war. Die junge Frau war wie gelähmt und klammerte sich mit weiß hervortretenden Fingerknöcheln an einen Strebepfeiler.
    »Was ist los?« fragte David.
    Sie antwortete nicht, leuchtete nur mit ihrer Taschenlampe nach unten.
    »Ist dir schwindelig?« wollte David wissen.
    |712| »Schau mal … da …«, flüsterte Rachel mit einer von Schluchzern erstickten Stimme.
    David beugte sich über den Rand des Turms. Seine Augen folgten dem Lichtkegel. Da sah er das blauweiß gestreifte Taschentuch, das an einem der Strebepfeiler hing.
    »Das gehört … meiner … Mutter«, schluchzte Rachel.
    »Beruhige dich, Rachel. Das heißt noch lange nicht, daß Sara hier hinuntergestürzt ist. Wahrscheinlich ist es ihr hinuntergefallen, und sie hat es nicht einmal bemerkt«, versuchte David sie zu trösten. Er streckte ihr die Hand entgegen. »Komm, wir haben es bald geschafft.«
    In diesem Moment vernahmen sie in der Ferne Stimmen. David hob den Kopf. Am anderen Ende der Zisterne glaubte er einen Lichtschimmer auszumachen.
    »Da kommt jemand. Gib mir die Hand, schnell!«
    Als er auf sie zurobbte, hörte er es auf einmal unter sich knirschen. Vor Schreck zuckte er zusammen und geriet aus dem Gleichgewicht, so daß er fast in den Abgrund gefallen wäre. In letzter Minute konnte er sich an der Auskragung eines Fensters festkrallen.
    »Das gelingt uns nie«, wimmerte Rachel.
    Dicke Schweißperlen liefen ihr über die Stirn. David versuchte ihr Mut zu machen und seine eigene Angst vor ihr zu verbergen.
    »Wir haben es beinahe geschafft. Halt dich nur gut fest, dann kann dir nichts passieren.«
    Als er über die Schulter der jungen Frau nach hinten blickte, merkte er, daß der Lichtschein am anderen Ende der Zisterne stärker geworden war, und eine Minute später konnte er auch schon deutlich ein Schlauchboot erkennen, das auf sie zukam. Er betete zu Gott, daß sie sie noch nicht entdeckt hatten. Im Bug befand sich ein Scheinwerfer, mit dem jetzt jemand die Säulengänge ausleuchtete. Als der Lichtkegel von einer der halb im Wasser versunkenen Säulen zurückgeworfen wurde, konnte David darin drei Männer ausmachen. Kahrnesky erkannte er sofort an seiner unverwechselbaren Silhouette |713| , und der Mann am Ruder schien der Killer zu sein, der sie im Escorial überfallen und Maliaño getötet hatte. Den dritten, der den Scheinwerfer bediente, konnte er erst identifizieren, als er sich zu seinen beiden Begleitern umwandte.
    »James Minspert höchstselbst!« flüsterte er entsetzt.
    Wie sind sie bloß hereingekommen? fragte er sich. Wahrscheinlich durch das Kloster, durch die alte Wäscherei. Die Mutter Oberin hatte ihnen auf Anweisung von Erzbischof Presti garantiert den Weg hinunter in die alten Kellergewölbe gewiesen. Da riß ihn ein neuerliches Knirschen des Turmes aus seinen Gedanken.
    »Ich zieh dich jetzt«, wisperte er der am ganzen Körper zitternden Rachel ins Ohr.
    Behutsam half er ihr, Zentimeter für Zentimeter auf dem Turm voranzurutschen, der leicht unter ihnen vibrierte. Bis es nicht mehr weiterging.
    »Warte, meine Jacke hat sich irgendwo verhakt«, flüsterte sie.
    In diesem Augenblick glitt der Scheinwerfer des Schlauchboots den Turm entlang. Und stoppte auf ihrer Höhe. Sie hatten sie entdeckt.
    »Ja, wen haben wir denn da?« brüllte Minspert hämisch, bevor er dem rothaarigen Killer den Befehl erteilte, an der Mauer anzulegen, wo die beiden anderen Boote vertäut waren.
    »Das hat uns gerade noch gefehlt!« fluchte David und beschirmte seine Augen mit der Hand. »Sag, wo hängst du fest?«
    Die drei hatten inzwischen den steinernen Steg erreicht und kletterten gerade mit

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