Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
Praistern zwar immer verhasst gewesen, doch in seiner Ablehnung der Magie hatte er ihnen ungewollt Vorschub für ihren weiteren Machtzuwachs geleistet. Sein qualvoller Gifttod einige Sonnenwenden nach seinem Antritt als Anführer war jedoch nie aufgeklärt worden. Die Eisenhand hatte viele Feinde gehabt, selbst unter jenen, die sich anfangs noch als seine Freunde ausgegeben hatten. Und so hätte ihm damals wohl jeder in seiner Umgebung das Gift verabreichen können.
Unmittelbar nach Ruitan Garlaks Gang zu den Schatten wurden die ihm verfeindeten Saijkalsan der üblen Tat verdächtigt, was sich im Nachhinein und bei genauerem Nachsinnen als eher unwahrscheinlich herausstellte, da die Saijkalsan neben ihren magischen Begabungen nur selten und in äußerster Not Gift als heimtückische Waffe einsetzten. Ein möglicher Attentäter aus dem Waldläufervolk der Altvorderen, genauer der Naiki, war damals ebenfalls infrage gekommen. Aber auch zu den sich damals bereits im Rückzug befindlichen Naiki passte ein hinterhältiger Mord nicht. Zu sehr waren sie ihrem Ehrenkodex verbunden, um eine solche Tat zu begehen. Ihre Treue galt der Natur und dem Frieden. Ihr Herz schlug für die freie Magie. Sie mochten die Eisenhand offen kritisiert, vielleicht sogar in einigen harten Schlachten bekämpft haben, aber zu einem feigen Mord wären sie nicht in der Lage gewesen.
Schnell wurde deshalb gemunkelt, die Praister hätten Ruitan Garlak ein schleichendes, tödliches Gift verabreicht, das ihn erst erblinden ließ und dann allmählich seine innersten Organe zersetzte. Der Weg zu den Schatten war ein qualvoller für den Helden. Er starb unter Schreien und Krämpfen. Nachweisen konnte die schweren Verdächtigungen gegen die Praisterschaft niemand. Sie taten allerdings auch nichts, um die üble Nachrede wieder zu zerstreuen. Im Gegenteil – schienen sie doch eine Zeit lang mit der Ungewissheit über die wahren Hintergründe des Giftanschlages zu spielen. Vielleicht kam ihnen der Respekt angesichts der Boshaftigkeit des Mordes an der Eisenhand bestens gelegen. Und so war es bis zum heutigen Tage bei dem Gerücht geblieben. Die Angst vor dem unbekannten Wolf trieb ihnen ihre Schäfchen zu.
Die Praister berieten die Regenten gleichermaßen in geistlichen wie weltlichen Angelegenheiten, obwohl Letzteres gewiss ihre Befugnisse überstieg. Sie leisteten seelischen Beistand und begleiteten die Todgeweihten des Hofstaates regelmäßig zu den Schatten, wenn deren Zeit gekommen war. War sie es nicht, halfen sie im einen oder anderen Fall schon einmal nach. Sie achteten in erster Linie auf die Einhaltung der Gesetze der Kojos, die auf einer als heilig angesehenen Steintafel eingemeißelt worden waren und sich im innersten Tempel auf einem Altar befanden.
Die siebte Terrassenstufe der Gartenanlagen gehörte ausschließlich den Praistern und war von ihnen den wichtigsten Kojos gewidmet worden. Welcher Kojos wichtig war, bestimmten die obersten der Praister. Im Garten befand sich ein schmaler Gebetsturm, von welchem ein geweihter Praister jeden Morgen mit Sonnenaufgang, jeden Mittag zur Tsairu und jeden Abend zum Sonnenuntergang für die Dauer jeweils einer Hora lautstark und für jedermann in der Stadt gut hörbar singend Gebete vortrug.
Den angebeteten Kojos höheren Ranges war – jeweils umgeben von Zierbäumen und Blumenbeeten – ein großer Schrein gewidmet worden, an welchem jeder ehrfürchtige Besucher Gebete sprechen, Opfer und allerlei Spenden darbringen durfte. Die Gläubigen gaben, was immer sie konnten: Kleidung, Decken, Felle, edle Weine und die verschiedensten Speisen, getrocknetes Fleisch, getrockneten Fisch, Gewürze, seltene Kräuter, Kerzen, Edelsteine, Kristalle, Anunzen und mitunter sogar Waffen wie verzierte Dolche, Schwerter und Äxte. Im Gegenzug wurde ihnen die Gnade der Kojos oder Vergebung für böse Gedanken und Taten versprochen.
Die nicht selten üppigen Spenden wurden, insbesondere wenn sie aus prall mit goldenen Anunzen gefüllten Lederbeuteln oder wertvollen Gegenständen bestanden, sehr gerne gesehen und wanderten sogleich in die schwer bewachten und durch verborgene Fallen geschützten Schatzkammern der Tempelanlagen. Außer den obersten Praistern selbst hatte niemand Zutritt zu den tief im Inneren gelegenen Zimmern. Noch nicht einmal der Regent wusste, wo genau im Palast sich die üppig gefüllten Räume der Praister befanden. Das war unter den Praistern ein wohlgehütetes Geheimnis.
»Verdammter Garten«,
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