Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
fremden Wahrnehmungen und Gefühlen füllte. Aber die plötzliche Einsamkeit und die Dunkelheit im Inneren, die Kälte und das Grauen ließen die Opfer dankbar nach jedem Halt greifen, der ihnen das Gefühl der Dunkelheit und des Verlorenseins im Nichts nahm. Eine geschickte und vor allem in den meisten Fällen Erfolg versprechende Manipulation, wie Madhrab fand, wenn man dagegen nicht gefeit war und die Bilder nicht aus der eigenen inneren Kraft und Wärme wieder ausklammern konnte. Erst ließ er sie sich vorsichtig vortasten, und als er bemerkte, wie sie über ihn triumphieren wollte, warf er sie urplötzlich zurück und schloss sie aus seinem Kopf aus. Das Mädchen schrie enttäuscht, als sie den schon sicher in ihren Fängen geglaubten Bewahrer verlor. Der Lordmaster konnte ihren Zorn spüren.
Wie ein trotziges Kind, das nicht bekommt, was es wollte, Dachte Madhrab bei sich. Ein Spiel, das ihn beinahe amüsiert hätte, wenn es nicht so anstrengend gewesen wäre und seine volle Konzentration gekostet hätte. Für die meisten Opfer, die nicht gelernt und geübt hatten, sich gegen die Beeinflussung zur Wehr zu setzen, endete das Spiel der Gedanken tödlich.
»Glaubt Ihr, Euer Schwert könnte uns aufhalten?«, hörte er ihre schrille Mädchenstimme keifen. »Was glaubt Ihr, wer Ihr seid? Wir werden siegen und jeden auf unserem Marsch in die Freiheit überwinden, der sich uns in den Weg stellt. Ihr seid der Nächste. Ich kann Eure Schwäche riechen. Gebt Euch geschlagen, und wir werden Euch Gnade erweisen und Euch in unserer Familie aufnehmen.«
Madhrab zeigte sich von einer überheblichen Seite und tat so, als messe er den Worten des Mädchens keinerlei Bedeutung zu. Er ahnte, dass sie sich fürchterlich aufregen würde, wenn er ihr auf diese Weise begegnete. Sie war gefährlich, das war ihm vom ersten Moment an klar, als er sie erblickte und die Kriecher respektvoll zurückweichen sah. Es war möglich, dass sie für eine gewisse Zeit die Kontrolle über die ihr anvertrauten Kriecher verloren hatte, doch überdeutlich hatte sie demonstriert, dass dies nur von kurzer Dauer gewesen war und sie die volle Befehlsgewalt rasch zurückgewonnen hatte. Aber er schätzte ihr Wesen auch als überempfindlich und unbeherrscht ein. Würde sie auf eine gewisse Art gereizt, könnte sie sich vielleicht zu unüberlegten Handlungen hinreißen lassen.
»Gib dir keine Mühe, Kind«, provozierte Madhrab das Mädchen bewusst, »an mir kommt keiner vorbei, und kleine Mädchen sollten lieber zu Hause in der Obhut ihrer Mutter mit Puppen spielen, als sich mit dem Bewahrer des Nordens anzulegen.«
Volltreffer. Madhrab hatte genau den richtigen Ton getroffen, um das Mädchen bis aufs Blut zu reizen. Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer überaus hässlichen Fratze. Sie fauchte, spuckte, stampfte mit den Füßen auf und zeigte ihm ihre langen Reißzähne. In ihren Augen lag Abscheu und die unübersehbare Absicht, den Bewahrer zu töten.
»Ihr … Ihr …«, schrie sie, wobei ihre Stimme vor Wut weinerlich klang und sie die beabsichtigten Worte nicht herausbrachte, »… ich bin Yabara. Ältestes Königskind der Bluttrinker. Ich werde Euch zwingen, mir zu dienen. Ihr werdet mir vor Dankbarkeit die Füße lecken. Ich tötete schon einige Bewahrer zuvor, zuletzt einen Eurer alten Männer, der dachte, er könne uns in seiner Grenzhütte aufhalten. Doch jetzt seid Ihr dran.«
Mit einem fürchterlichen Schrei des Wahnsinns auf den Lippen rannte Yabara los und hielt geradewegs auf den Bewahrer zu. Langsam stieg Madhrab vom Rücken seines Pferdes und bereitete sich auf das in ihrem unbändigen Zorn unüberlegt anstürmende Mädchen vor.
»Yabara! Nein! Lass ab von ihm«, hörte Madhrab eine tiefe Stimme warnend rufen.
Der Lordmaster war sich beinahe sicher, die Stimme musste Quadalkar gehören, der verzweifelt versuchte, seine Königstochter vor einem schweren Fehler zu beschützen. Aber Yabara war zu gereizt und mit ihrem aufwallenden Hass auf den Bewahrer beschäftigt, als auf den Vater aller Bluttrinker zu hören.
»Yaaabaaaraaaaaa«, der lang gezogene Schrei des Quadalkar erreichte die Tochter nicht.
Die letzten Fuß der Distanz rasch überbrückend, sprang Yabara hoch in die Luft und schwebte in rasender Geschwindigkeit mit ausgestreckten Krallen und weit aufgerissenem Mund und Augen auf den Bewahrer zu. Sie sah die blitzschnelle Bewegung des Lordmasters nicht kommen, der sie mit einem überraschenden Hieb aus den Lüften holte. Das
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