Kryson 04 - Das verlorene Volk
gerecht und hart und besitzt die Gabe des Kriegers. Nehmt dasAngebot an. Ich bin des Herrschens müde. Die Fürsten standen in all den Sonnenwenden nicht hinter mir und zweifeln an meinen Entscheidungen. Wir werden diesen Krieg vielleicht mit vereinten Klanlanden überleben. Streiten die Fürsten jedoch untereinander, verlieren wir. Das wäre unser aller Ende. Unter Eurer Führung wird es eine Einigkeit geben. Davon bin ich überzeugt. Der Thron und der drohende Krieg schnüren mir allmählich die Kehle zu. Ich bitte Euch, das Angebot in Erwägung zu ziehen und darüber nachzudenken.«
Raussa erhob sich plötzlich von ihrem Sitz und funkelte ihren Gatten zornig an. Sie war nicht im Entferntesten damit einverstanden, dass Madhrab die Regentschaft übernahm, bedeutete es doch, dass sie selbst als Regentin abdanken und ihm die Treue schwören müsste.
»Wie kannst du es wagen, Jafdabh?« Die Stimmen der Anwesenden verebbten, als die Regentin wutentbrannt sprach und sich ihre Stimme im Eifer überschlug. »Du wirfst weg, was du durch mich erlangt hast? Du betrügst unsere Kinder um ihr angeborenes Recht auf den Thron? Ich habe dich immer in allen Entscheidungen unterstützt, dir meine Stimme gegeben, wenn du sie brauchtest. Was du vorschlägst, ist Hochverrat an den Nno-bei-Klan und ein Frevel gegenüber den Kojos. Dafür sollten dich die Praister vergiften. Ich warne dich, Jafdabh. Denke daran, woher du kommst. Deine Wurzeln sind unwürdig. Du warst ein Todeshändler, der sein eigenes Volk wieder und wieder verraten hat. Ich habe dich durch mein Blut zum Regenten erhoben. Vergiss das nie! Ein Usurpator ersetzt den anderen Usurpator. Madhrab ist ein Mörder! Er tötete seine Ordensbrüder und zuletzt einen Fürsten. Er darf niemals herrschen. Das wäre Unrecht!«
Plötzlich wurde Madhrab bewusst, worauf Raussa anspielte. Sie bezichtigte ihn des Mordes an Lordmaster Kaysahan und seinem Erzfeind, Fürst Chromlion Fallwas. Der Tod desFürsten hatte sich in den Klanlanden herumgesprochen. Auch wenn Chromlion unter den Klan und den Fürsten nicht beliebt war, durch die Grausamkeit der Tat hatte sich Madhrab nicht nur Freunde geschaffen. Madhrab hatte bereits befürchtet, dass ihm die Hinrichtung Chromlions im Rat der Fürsten vorgeworfen würde und er sich dafür verantworten musste. Darauf war er gefasst. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass ihn ausgerechnet die Regentin selbst des Mordes anklagen wollte.
Die Gerüchte im Orden schienen sich also doch bewahrheitet zu haben. Raussa war dereinst die Geliebte des Lordmasters gewesen, während dieser in diplomatischem Auftrag für die Bewahrer am Hofe des Regenten tätig war. Sie hasste Madhrab. Das wurde ihm in diesem Augenblick bewusst, und sie würde alles daransetzen, ihn zu vernichten. Aber sie kannte nicht die ganze Wahrheit. Das musste er ihr zugutehalten. Wie sollte er Raussa offenbaren, dass er Kaysahan zwar verletzt, aber nicht getötet hatte? Sein Ordensbruder war Opfer eines feigen Mordes auf dem Krankenlager geworden.
Jafdabh war erblasst. Das Atmen fiel ihm schwer und er rang nach Luft. Der Regent hatte nicht mit einer solchen Gegenwehr gerechnet und schon gar nicht von seiner Gattin.
Langsam erhob sich Fürst Tomal Alchovi von seinem Platz, sah sich in der Runde um und ergriff das Wort.
»Die Vorwände sind ohne Belang. Besondere Situationen verlangen außergewöhnliche Entscheidungen. Wir brauchen einen Mann der Tat auf dem Thron. Ich unterstütze den Vorschlag des Regenten«, sagte er und setzte sich sofort wieder.
»Was?«, schrie Raussa außer sich. »Das darf doch nicht wahr sein. Das ist Irrsinn! Ihr dürft keinen Despoten an die Macht lassen.«
»Davon kann nicht die Rede sein. Der Regent ist an den Rat der Fürsten gebunden, auch wenn Euer Vater diese Regelanders ausgelegt haben sollte. Lasst uns darüber abstimmen«, meldete sich Drolatol zu Wort und zitierte aus den Regeln des Rates. »Jeder Fürst hat eine Stimme. Nicht anwesende Fürsten haben keinen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis. Ihre Stimme wird als Enthaltung gewertet. Regent und Regentin haben jeweils zwei Stimmen. Eine einfache Mehrheit genügt. Bei Stimmengleichheit gilt der Vorschlag als angenommen.«
Im Rat der Fürsten entbrannte eine Debatte um Jafdabhs Vorschlag; selbst ob eine Abstimmung erfolgen sollte oder nicht, wurde heftig diskutiert und infrage gestellt. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass sich aus dem Kreis der Fürsten ein Nachfolger finden würde.
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