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Kryson 04 - Das verlorene Volk

Titel: Kryson 04 - Das verlorene Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Rümmelein
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Tages weise zu werden. Aber wer weiß, vielleicht kommt die Weisheit in den mir verbleibenden Sonnenwenden noch. Gleichgültig was ich anstelle oder ob ich mir die Schatten und meine verdiente Ruhe herbeisehne. Sie holen mich einfach nicht. So schleiche ich tagein, tagaus durch die Flure unseres Ordenshauses und muss mit ansehen, wie dieses langsam von innen heraus verfault. Ich höre böse Reden, sehe mit großer Sorge den Verfall der Tugenden und Sitten. Was wir einst als wertvoll erachteten, zählt nichts mehr. Was kommt dann? Die Auflösung und das Ende unseres Ordens? Du kannst mir glauben, Elischa. Es grämt mich, wenn unser Lebenswerk auf diese Weise zerstört wird. Ich habe zuweilen das Gefühl, dass alles umsonst war. Das ist nicht gut. Ich wollte trotz der harten Zeiten zufrieden und dankbar auf ein erfülltes Leben zurückblicken und nicht denken müssen, die entbehrungsreiche Arbeit im Orden habe keinen Sinn gehabt.«
    »Was ist geschehen? Du musst es mir erzählen, Ayale!« Die Ordensschwester hatte Elischa neugierig gemacht.
    »Alles zu seiner Zeit, Kind«, antwortete Ayale, »wir riefen dich, weil wir dich brauchen. Der Orden braucht erfahrene Schwestern und muss sich auf die Traditionen besinnen, um zu seiner alten Stärke zurückzufinden. Das Erbe des Ulljan ist in Gefahr und unsere Aufgabe ist noch nicht erledigt. Sosehr ich deine Rückkehr herbeigesehnt hatte, so sehr befinde ich mich aber im Zweifel, ob du für dich die richtige Entscheidung getroffen hast, unserem Ruf zu folgen. Hegoria ist schon seit längerer Zeit schwer krank. Die Schatten warten bereits auf sie. Ihre Kräfte schwinden mit jedem Tag, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie den Orden nicht mehr führen kann. Bevor sie dich jedoch wieder in den Orden aufnehmen wird, wartet ihre Bestrafung auf dich und wenn es das Letzte ist, das sie entscheidet. Das weißt du, nicht wahr?«
    Elischa nickte. Ayale legte ihre Hand auf die von Elischa und blickte ihr traurig und voller Sorge in die Augen. Elischa hatte damit gerechnet und sie war bereit, jede Strafe anzunehmen.
    »Die Bestrafung wird sehr hart sein«, fuhr Ayale leise fort, »deine Vergehen gegen den Orden waren schwerwiegend. Überlege es dir gut, ob du dich dem aussetzen willst und kannst. Noch hast du Gelegenheit zu gehen.«
    »Nein, ich werde nicht noch einmal davonlaufen. Ich fürchte mich nicht vor der Strafe der heiligen Mutter. Ich werde sie klaglos ertragen«, antwortete Elischa mit gesenktem Kopf. »Es kann nicht schrecklicher sein als all das, was ich in der Vergangenheit erdulden musste und mich gegen alle meine Prinzipien zu einer Mörderin werden ließ.«
    »Sag das nicht, Elischa!« Ayale klang besorgt. »Die Geißelung bringt dich den Schatten näher. Ich will dir gewiss keine Angst machen. Aber alle werden sehen, wenn sie dichnackt zwischen die Pfähle binden. Du kannst dich glücklich schätzen, wenn sich Hegoria als gnädig erweist und dich mit weniger als fünfzig Hieben bestrafen lässt. Zwanzig können tödlich sein. Du wirst nicht mehr dieselbe sein, solltest du die Prozedur überleben. Und wenn du es überstehen solltest, wird es dich für Monde an dein Lager fesseln. Ich werde an diesem unglückseligen Tag in meiner Kammer bleiben, Augen und Ohren fest verschließen und mir dein Unglück keinesfalls ansehen. Das würde ich nicht ertragen. Aber ich werde für dich da sein und deine Wunden versorgen, wenn es vorbei ist. Darin bin ich noch immer gut. Die Beste, so du meinen krummen Händen vertraust.«
    Natürlich vertraute sie Ayale und sie wusste wohl, dass es im Ordenshaus keine bessere Heilerin mit ihrer Erfahrung gab. Dennoch musste Elischa schlucken. Ihr Hals fühlte sich plötzlich sehr trocken an. Die Geißelung wurde als Strafe im Ordenshaus nur selten verhängt. Sie sollte – wenn überhaupt – überwiegend zur Abschreckung für schwere Vergehen eingesetzt werden, wurde aber von den Schwestern meist als zu grausam empfunden. In ihrer Kindheit hatte sie einmal einer Geißelung einer ihrer Ordensschwestern beigewohnt, die für einen Verstoß gegen die Regeln mit zehn Hieben gesühnt worden war.
    Aber das war lange her. Die Bilder in Elischas Gedanken waren nur noch verschwommen. Im Lauf der Zeit hatte sie das überaus blutige Erlebnis verdrängt. Doch erinnerte sie sich mit Schrecken an die an den Enden mit Eisensplittern beschwerten und Widerhaken besetzten Geißeln der Orna und deren verheerende Wirkung. Die heilige Mutter bewahrte die

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