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Kryson 04 - Das verlorene Volk

Titel: Kryson 04 - Das verlorene Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Rümmelein
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Folterinstrumente für gewöhnlich unter Verschluss in ihrer Kammer auf. Dennoch stand Elischas Entschluss fest. Sie würde sich der Bestrafung nicht entziehen und wenn es ihr Leben kosten sollte.
    »Geh nun zur heiligen Mutter«, sagte Ayale, drückte Elischas Hand und erhob sich ächzend vom Lager, »sie wartet auf dich. Je früher du es hinter dich bringst, umso besser. Versuche die Bestrafung als Neuanfang zu sehen, der dich die Vergangenheit und das Leid durch neuen Schmerz vergessen lässt. Alles wird gut, du wirst sehen.«
    »Danke, Ayale«, sagte Elischa, »es ist gut, dich in meiner Nähe zu wissen.«
    Ayale bewegte sich langsam zur Tür. Sie drehte sich noch einmal um, bevor sie die Kammer verließ.
    »Sprich offen mit der heiligen Mutter, Elischa«, sagte Ayale, »und vergiss, dass du und sie einst Konkurrentinnen wart. Sie wird dir gewiss erzählen, wie es um den Orden steht. Schließlich war es ihr Wunsch, dass wir dich riefen. Vertraue ihrem Urteil. Es wird gerecht und angemessen sein.«

    Elischa kannte den Weg und die Kammer der heiligen Mutter gut. Ihre Erinnerungen plagten sie, während sie die steinernen Stufen zum obersten Stockwerk emporstieg. Wie oft hatte sie diese schon genommen? All die Bilder aus der Vergangenheit erwuchsen vor ihrem geistigen Auge, als sie vor der Tür stand. Der Leichnam der ermordeten heiligen Mutter erschien vor ihrem inneren Auge, als wäre es gestern gewesen.
    Sie klopfte und wurde prompt von einer schwachen Stimme aufgefordert einzutreten. In der Kammer herrschte ein dämmriges Licht vor. Die Fenster waren mit dunklen Tüchern verhängt. Der Schein weniger im Zimmer verteilter Kerzen rief sich langsam bewegende Schatten an die Wand. Es war ungewöhnlich kalt in der Kammer. Elischa konnte den Dunst ihres eigenen Atems sehen.
    Die heilige Mutter Hegoria lag auf ihrer Lagerstätte und hatte die Decke bis zum Hals hochgezogen. Lediglich ihr Gesicht war zu sehen. Hegoria richtete sich mühsam auf, umElischa besser sehen zu können. Jede Bewegung schien zu schmerzen. Sie stöhnte leise auf. Die heilige Mutter sah blass aus. Ihre Augen waren rot umrändert und lagen tief in den Höhlen. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn und das lange, wirre Haar klebte nass an ihrem Schädel. Hegoria und Elischa waren im selben Alter. Es stellte keinen ermutigenden Anblick dar, die heilige Mutter in diesem Zustand zu sehen. Sie tat Elischa leid. Das hatte sie nicht verdient. Keine der Schwestern sollte so früh sterben müssen. Aber die Schatten lauerten, Hegoria in ihr Reich mitnehmen zu können. Elischa konnte sie spüren. In den Ecken, an den Wänden und am Boden unter ihren Füßen. Sie befanden sich überall. Aber noch hielten sie sich zurück. Noch hatten sie ihre Finger nicht nach der Sterbenden ausgestreckt, aber Hegoria war nicht mehr zu helfen.
    »Du bist gekommen«, begrüßte Hegoria ihre Ordensschwester leise, »das ist gut!«
    »Du hast mich gerufen, Mutter«, antwortete Elischa, »ich kenne meinen Platz und folgte deiner Stimme.«
    »Nenn mich bitte nicht Mutter, Elischa. Aus deinem Mund hört sich das falsch an. Wir wuchsen zusammen auf und legten unsere Prüfungen gemeinsam ab. Du hast mich in vielen Fächern übertroffen. Aber ich war nie die heilige Mutter für dich. Als ich gewählt wurde, hattest du den Orden bereits verlassen.«
    »Aber jetzt bist du es. Ich schulde dir meinen Respekt«, erwiderte Elischa.
    »Nein. Du weißt, dass ich dich verurteilen und die Strafe vollstreckt sein muss, bevor du dich den Regeln des Ordens wieder unterwerfen darfst. Es widerstrebt mir, das Urteil gegen dich auszusprechen. Aber wir müssen ein Exempel statuieren und kommen nicht daran vorbei. Die Regeln verlangen die Bestrafung.«
    »Dann verurteile mich, wenn es nicht anders geht. Dukanntest die Ordensregeln stets besser als ich und hast sie im Gegensatz zu mir befolgt.«
    »Vielleicht«, antwortete Hegoria. »Niemand unter uns ist ohne Fehl und Tadel. Selbst ich nicht. Aber meine Strafe dafür ist die Krankheit, die mich ans Bett fesselt und alsbald zu den Schatten bringen wird. Sei so lieb und geh zum Tisch. Dort liegt eine Schriftrolle, die das Urteil enthält. Ich habe es mit den älteren Schwestern besprochen und den Lehrmeisterinnen verhandelt. Die Bewahrer stimmten mit Unterschrift und Siegel zu. Es ist bereits gesprochen. Nimm die Schriftrolle und lies sie bitte laut vor.«
    Elischa überflog die ersten Zeilen des Schriftstücks, in welchem nur ihr Name stand und die

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