Kryson 04 - Das verlorene Volk
er war der Anführer der Krieger – steckte sein Schwert in die auf dem Rücken befestigte Scheide und näherte sich uns mit einigen Schritten. Seine Bewegungen wirkten geschmeidig wie die einer Großkatze.
›Ihr habt unseren magischen Schutzwall durchbrochen und seid ohne Erlaubnis in das Hoheitsgebiet der Nno-bei-Maya eingedrungen. Wir werten dies als Angriff auf unser Volk. Darauf steht als Strafe der Tod. Aber ich lasse Euch für dieses eine Mal die Wahl. Wir gestatten es Euch, unbehelligt von dannen zu ziehen, wenn Ihr augenblicklich umkehrt und nie wieder nach Kartak zurückkehrt. Oder Ihr bleibt und sterbt an Ort und Stelle‹, sagte der Krieger mit klarer und fester Stimme.
›Wir kamen in friedlicher Absicht …‹, antwortete ich rasch, um keinen falschen Eindruck zu erwecken. Die Auseinandersetzung mit den stolzen Kriegern der Maya war schwer genug, ›… und wollten den Nno-bei-Maya einen freundschaftlichen Besuch abstatten. Außerdem möchten wir einen Vorschlag unterbreiten. Ich bin mir sicher, Eure Herrscherin wird den Wunsch äußern, unser Angebot zu hören. Gerne werde ich es ihr persönlich vortragen.‹
Zu unserem Erstaunen nickte der Krieger. Er neigte den Kopf auf die Seite, als lausche er einer weit entfernten Stimme. Dabei blickte er sowohl Kallahan als auch mir tief in die Augen, gerade so, als wolle er unsere Gedanken ergründen.
›Senkt die Waffen!‹, befahl der Krieger plötzlich denanderen Maya, die ihm aufs Wort gehorchten. ›Die Königin ist einverstanden. Wir geleiten die Fremden zu Saykara.‹
Kallahan und ich sahen uns an und atmeten tief durch. Obwohl wir in der Lage waren, uns mithilfe der Magie zur Wehr zu setzen, wäre ein Kampf mit den Kriegern der Maya tödlich gewesen. Dessen war ich mir sicher. Wenngleich ich die Fähigkeiten des Anführers nicht kannte, spürte ich, dass er selbst für einen Lesvaraq und dessen magisch begabten Begleiter gefährlich werden konnte. Wie tödlich dieser Krieger tatsächlich war, würden wir gewiss noch erfahren.
›Ihr habt Glück‹, wandte sich der Krieger an uns. ›Saykara ist Eurem Besuch gegenüber milde gestimmt und will Euch empfangen. Unter einer Bedingung jedoch …‹
›Was verlangt die Königin?‹, hakte ich nach.
›Wollt Ihr den Weg in unsere Stadt mit uns kommen, werden wir Euch die Augen und Ohren verbinden. An Händen und Füßen legen wir Euch Fesseln an. Blind und taub wird Euch der Weg nach Zehyr verborgen bleiben. Während unserer Reise und Eures Aufenthaltes werdet Ihr auf jeglichen Einsatz von Magie verzichten. Seid Euch gewiss, dass wir das Wirken von Magie erkennen und dagegen gewappnet sind. Wenn Ihr einverstanden seid, machen wir uns sofort auf den Weg.‹
›Wir werden uns an die Bedingungen halten‹, nickte ich, wobei ich mich zuvor mit einem Blick auf Kallahan vergewissert hatte, dass er sich ebenfalls an die Vereinbarung halten würde.
Kallahan war nicht wohl bei dem Gedanken, von schwer bewaffneten Kriegern blind und gefesselt durch den Urwald von Kartak wie eine Jagdbeute getragen zu werden. Und ich muss gestehen, mir war nicht weniger mulmig zumute. Aber was blieb uns anderes übrig, wollten wir unser Ziel erreichen.
Mit Stricken banden sie uns die Hände auf dem Rückenzusammen und verbanden diese mit unseren Füßen. Wir konnten uns nicht bewegen. In die Ohren stopften sie uns Bienenwachs und stülpten uns schwarz gefärbte Leinensäcke über den Kopf, die sie am Hals zubanden. Auf diese Weise verpackt wurden wir wie Reisebündel auf Speere gezogen und von jeweils zwei Kriegern getragen.
Sicher hatte es seine Vorteile, den unbekannten und bestimmt beschwerlichen Weg durch den Urwald getragen zu werden. Wir konnten unsere Kräfte schonen, aber bereits nach einer kurzen Strecke schnitten die Fesseln mit jeder Bewegung der Träger tiefer in Hand- und Fußgelenke und begannen fürchterlich zu schmerzen. Abgeschnitten von den Eindrücken der Außenwelt fiel ich alsbald – unterstützt von gleichmäßigem Schaukeln – in eine Art Schlummer, der mir einen Traum bescherte.
Vielleicht war es weit mehr als das. Denn als ich den diffusen Bildern in meinem Kopf durch die Stimme des Kriegers jäh entrissen wurde, war ich um eine Erkenntnis reicher. Der Traum hatte mir auf eigenartige Weise gezeigt, dass die Zeit der magischen Völker lange schon abgelaufen war. Ihr Ende stand unmittelbar bevor. Unter der Führung der Eisenhand war der Siegeszug der Nno-bei-Klan nicht mehr aufzuhalten. Der scheinbar
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