Kryson 04 - Das verlorene Volk
sie ordentlich aufgenommen und künftig berücksichtigt wird.«
»Ihr seid schlau und kennt die Regeln genau, nicht wahr, Pydhrab?«, lächelte Yilassa.
»Ich studiere sie schon zu lange, um nicht jedes ihrer Worte zu kennen«, antwortete Pydhrab. »Wäre dem nicht so, eines Atramentors wäre ich nicht würdig.«
»Nun denn, dann lest mir einige Zeilen aus der Schrift vor. Laut, wenn es euch nicht allzu viel Mühe bereitet«, befahl Yilassa.
»Gerne, wie Ihr wünscht, mein Overlord. Ich werde versuchen, die Erzählung für Euch in eine verständlichere Sprache zu übersetzen. Ulljan neigte zuweilen dazu, in die Sprache der Altvorderen zu entgleiten und deren Rhythmus und Reimform noch zu steigern.«
»Natürlich erschloss sich der Weg nicht sofort und gewiss nicht jedem Fremden, der vor der Barriere stand. Aber die Lösung des Rätsels war denkbar einfach, und mit dem Wissen eines Lesvaraq jedoch drängte sie sich mir geradezu auf. Wie sich die Anstrengungen der Reisen zu den magisch begabten Völkern der Altvorderen doch gelohnt hatten. Kallahan riss erstaunt die Augen auf und starrte fassungslos zu mir herüber, als er mich plötzlich unversehrt auf der anderen Seite der Barriere stehen sah.
›Wie hast du das gemacht?‹, hörte ich sein Flüstern.
›Das war nicht schwer, Kallahan‹, munterte ich ihn auf, um es mir möglichst rasch gleichzutun. ›Du erinnerst dich gewiss an die Felsgeborenen. Sie hatten ein Geheimnis, das sie mit uns teilten und welches sich als äußerst nützlich erwies. In diesem Falle in besonderem Maße.‹
›Ich kann dir nicht folgen, Ulljan‹, sagte Kallahan stirnrunzelnd. ›Von welchem Geheimnis sprichst du?‹
›Das Flüstern der Steine, Kallahan.‹
›Ja, und? In der Tat ist es eine hilfreiche Fähigkeit, um dasWissen zu mehren und mehr über die Geschehnisse an weit entfernten Orten zu erfahren, ohne selbst je dort gewesen zu sein.‹
›Aber verstehst du denn nicht?‹ Es fiel mir schwer, ihn nicht zu tadeln. Wie konnte er bei seiner Begabung das Offensichtliche nicht erkennen? ›Das Flüstern der Steine ist des Rätsels Lösung. Siehst du diesen weißen Stein hier neben mir? Das Wasser hat ihn über Sonnenwenden glatt gewaschen. Und doch flüstert er, wie es all die anderen Steine tun. Sie flüstern miteinander, tauschen Gedanken und Erlebnisse aus. Du siehst es ihm nicht an, aber dieser kleine unscheinbare Stein ist so alt wie Ell selbst. Kannst du sein Flüstern hören?‹
›Nein!‹
›Dann konzentriere dich! Streng dich an! Hör ihm zu und versuche zu verstehen, was er dir zu sagen hat.‹
Kallahan gab sein Bestes. Er war ein guter Schüler und Freund. Ich hatte mich stets auf ihn verlassen können. Während ich ihn beobachtete, veränderte sich sein Gesichtsausdruck und ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen. Er hatte begriffen, was ich von ihm verlangte. Meine Ungeduld hatte sich gelohnt. Kallahan war bereit.
›Ich kann ihn tatsächlich hören.‹
›Das ist gut‹, ich war erleichtert, ›der erste Schritt zu einer neuen Erfahrung. Dann lass uns gemeinsam den zweiten versuchen. Sieh dir den Stein an, halte ihn fest im Blick und in deinen Gedanken. Lass die Verbindung keinesfalls abbrechen. Und stell dir einfach vor, du wärst an seiner Stelle. Das ist nicht schwer, und gewiss viel einfacher als fliegen.‹
Es war schwer, zu übersehen, dass Kallahan Mühe hatte, sich in den Stein hineinzuversetzen. Ihm fehlte die Übung in dieser Art der Magie. Das würden wir bei nächster Gelegenheit ändern müssen, denn es lag mir viel daran, in ihm einen treuen Gefährten und einen wahren Meister der freien Magiean meiner Seite zu haben. Das war nicht nur nützlich, sondern überlebenswichtig. Immerhin hatten wir uns viel vorgenommen. Unsere Reisen zu den Völkern der Altvorderen dienten nicht ausschließlich der Mehrung unseres magischen Wissens, sondern erfüllten einen höheren Zweck. Zumindest lag dies in meiner Absicht.
Nach einer Zeit des Dahindämmerns im Schlaf der Unwissenheit und der Unfähigkeit, in die Geschicke Ells einzugreifen, waren die Nno-bei-Klan in den jüngsten Tagen rührig geworden. Es schien, als wären sie wie die Raupe eines Schmetterlings nach einer Zeit der Verpuppung erwacht, hätten ihre starre Hülle abgestreift und erschienen in neuem schillerndem Gewand. Plötzlich nahmen sie ihr Schicksal in die eigene Hand, wehrten sich gegen die ihnen anscheinend von den Kojos angedachte Rolle der dienenden und braven Lämmer. Sie
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