Kryson 04 - Das verlorene Volk
füllen.«
Tarratar und Daleima warteten bereits am Ende der Festtafel. Tomal begrüßte die beiden Wächter freudig. Er war froh, sie zu sehen. Tarratar nahm den Lesvaraq zur Seite.
»Verdammt, Ihr macht den Eindruck, als sei es Euch im inneren Sanctum sehr gut ergangen«, sagte Tarratar mit einem leichten Vorwurf in der Stimme, »ich werde neidisch, wenn ich in Euer Gesicht sehe.«
»Es war eine tiefe Erfahrung und durchaus … befriedigend!«, brummte Tomal lächelnd.
»Ihr habt Euch mit der Königin eingelassen. Das ist …«, Tarratar beendete den Satz nicht, »… denkt an die Spinne inihrem Netz, die ihre Liebhaber frisst. So verlockend sie sein mag. Sie kann Euch gefährlich werden.«
»Ich bin Euch für Euren Rat dankbar, Tarratar. Aber Ihr vergesst, dass ich ein Lesvaraq bin.«
»O nein, ganz gewiss nicht«, meinte Tarratar, »Ihr seid Ulljans Erbe. Daran habe ich keinen Zweifel. Ihr könntet sie und ihr Volk vernichten, so wie er die Maya einst in die Schatten geführt hat. Aber nicht, wenn es ihr gelingt, Euch zu beherrschen. Verliebt Ihr Euch in Saykara, ist es um Eure Macht geschehen. Ulljan war erfahrener und vorsichtiger, als Ihr es seid.«
»Die Maya werden mir folgen und mit ihnen ihre Königin«, meinte Tomal.
»Nie zuvor haben sich die Maya dem Lesvaraq der Dunkelheit angeschlossen«, gab Tarratar zu bedenken, »Ihr spielt ein gefährliches Spiel mit der Königin. Ich bin mir nicht sicher, ob Ihr gewinnen könnt.«
»Wir werden sehen«, antwortete Tomal.
Fanfaren ertönten. Sie kündigten die Ankunft der Königin im Festsaal an. Saykara erschien in der Tür. Sie trug ein bodenlanges, weißes Kleid mit einer Schleppe, das über und über mit funkelnden Edelsteinen besetzt war. Eine leichte Krone aus weißem Gold zierte ihr hochgestecktes Haar.
»Sie sieht hinreißend aus, findet Ihr nicht?«, wandte sich Tomal an Tarratar.
»Natürlich«, murrte Tarratar, »ihr zweiter Name ist Verführung.«
Tomal musste über den ersten Wächter lachen. Der Narr besaß eine ganz eigene Art von Humor, die nicht jeder auf Anhieb verstand. Es fiel nicht immer leicht zu unterscheiden, wann er es ernst meinte oder bereits zu scherzen beliebte. Aber der Lesvaraq hatte schnell gelernt, Tarratar meist richtig einzuschätzen. Bewundernde Blicke folgten der Königin, als siedurch den Saal schritt und ihren Platz an der Tafel einnahm. Sie genoss die Anerkennung, das konnte ihr Tomal ansehen.
Ihr Lächeln galt ihm und sie winkte ihn zu sich an ihre Seite.
»Setzt Euch«, forderte sie Tomal auf und deutete auf den Stuhl neben ihrem eigenen, »Euer Platz ist an meiner Seite.«
Tomal fiel sofort auf, dass sie die förmliche Anrede gewählt hatte, als sie ihn gebeten hatte, sich zu ihr zu gesellen. Das gefiel ihm nicht. Aber er setzte sich direkt neben die Königin.
»Ich dachte, wir wären schon einen Schritt weiter«, flüsterte er in ihr Ohr.
»Bilde dir nichts darauf ein«, erwiderte sie leise, darauf bedacht, dass niemand ihr Gespräch belauschen konnte, »das hatte nichts zu bedeuten. Vor den Augen und Ohren einer Gesellschaft wirst du mich respektvoll wie eine Königin ansprechen, so wie ich es mit dir halte.«
»Selbstverständlich, ganz wie es dir beliebt«, antwortete Tomal verärgert.
Er hätte sich gewünscht, sie würde ihre Zuneigung ihm gegenüber offen zeigen. Aber darin hatte er Saykara wohl überschätzt. Sie war in der Tat eine Königin, die sich an ihre Etikette hielt.
Die übrigen Gäste verteilten sich um die Festtafel und nahmen ihre Plätze ein. Tarratar und Daleima saßen gegenüber der Königin und Tomal in der Mitte des festlich gedeckten Tisches. Saykara erhob sich. Erneut ertönte eine Fanfare und die Gespräche der Gäste verstummten abrupt.
»Meine lieben Freunde«, begann sie ihre Rede mit klarer und kräftiger Stimme, »vor mehr als fünftausend Sonnenwenden empfingen wir Ulljans Fluch und mussten ins Reich der Schatten wandern. Der Fluch des Lesvaraq war ungerecht und abgrundtief böse. Ulljan wollte uns unsere Fähigkeiten und die Gabe der Kojos stehlen. Von seiner Gier nach Machtgetrieben nahm der Lesvaraq uns alles, was wir liebten und was uns wichtig war. Wir waren fortan ein verlorenes Volk. Die einst so stolzen und mächtigen Nno-bei-Maya erwiesen sich als unfähig, sich selbst zu befreien. Aber trotzdem waren wir stark und widerstanden gemeinsam den Schatten und dem Vergessen im grauen Nebel des Nichts. Wir gaben die Hoffnung auf eine Rückkehr niemals auf. Und wir
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