Kryson 04 - Das verlorene Volk
Allerdings war er wehrlos. Ulljan kümmerte das anscheinend nicht. Er schnitt Gahaad das Herz bei lebendigem Leib heraus, öffnete den Schädel und entfernte sein Gehirn. Dann verfluchte er die Seele meines Kriegers, oder das was von ihr noch übrig war, erneut. Gahaads Geist verging qualvoll. Ein Glück, dass er uns trotz seiner Qualen in den Schatten fand und mir berichten konnte, was geschehen war. Doch nun musste er alleine in den Schatten zurückbleiben. Das ist eine Tragödie. Ich brauche sein Herz und sein Gehirn, um ihn aus dem Reich der Schatten zu holen. Sie sind versteinert wie die Statue des Kriegers.«
»Weißt du, wohin Ulljan das steinerne Herz gebracht hat?«
»Ich habe in den Schatten vieles gehört und gesehen. Selbst Tarratars Worte und sein Lautenspiel konnte ich verstehen.Der kleine Wächter sprach oft und viel mit mir. Ich vermute, dass Ulljan das Herz in den Häusern seiner Orden aufbewahren lässt. Immerhin hat er die Sonnenreiter und Orna doch eigens gegründet, sein Erbe zu bewahren. In den Ordenshäusern müssen Gahaads Herz und Hirn zu finden sein.«
»Bei den Bewahrern also …«, grübelte Tomal nach.
»Das ist noch nicht die ganze Geschichte«, unterbrach Saykara die Gedanken des Lesvaraq.
»Es gibt noch mehr zu erfahren?«
»Ulljan hatte nie verstanden, dass die Gabe des Kriegers an unser Volk gebunden ist. Es genügte nicht, Gahaads Herz und Hirn zu stehlen. Nur ein Krieger, in dessen Adern das Blut der Nno-bei-Maya fließt, ist in der Lage, die Gabe von den Kojos zu empfangen und bis zu seinem Lebensende zu tragen.«
Das war eine nützliche Information für Tomal, die ihn nachdenklich stimmte.
»Wenn mein leiblicher Vater tatsächlich die Gabe des Kriegers in sich trägt, muss er von den Nno-bei-Maya abstammen«, schlussfolgerte Tomal in Gedanken.
Ihm war bewusst, was das bedeutete. Das war eine weitere Bestätigung seiner eigenen Abstammung von den Nno-bei-Maya. Er hatte keine Zweifel mehr. Tomal war ein Angehöriger des einst verlorenen Volkes. Tarratar und die Erlebnisse in den Schatten sprachen dafür, und nun hatte ihm auch Saykara dies bestätigt.
»Wie können Madhrab und ich von den Maya abstammen? Ulljan brachte das Volk der Maya zu den Schatten«, fragte sich der Lesvaraq still.
Die Antwort auf diese Frage gab ihm Saykara ungefragt und prompt.
»Du solltest wissen, dass Ulljan in seiner Gier nach unseren magischen Geheimnissen und der Gabe nicht besonders gründlich war und Fehler machte. Normalerweise bliebenwir Nno-bei-Maya unter uns und mieden nach Möglichkeit den Kontakt mit dem Festland Ells und anderen Völkern. In Zehyr fühlten wir uns sicher. Aber wir hatten zu jener Zeit einen Boten zu den Naiki geschickt, um mehr über Ulljans Absichten zu erfahren und Pavijur um Hilfe zu bitten. Sollte Ulljan unsere Barriere durchbrechen und die Maya herausfordern, brauchten wir seine Unterstützung. Es hatte sich unter den Altvorderen schnell herumgesprochen, dass der Lesvaraq ein Volk nach dem anderen aufsuchte, sein Wissen und seine Macht zu mehren. Er kannte keine Grenzen und schreckte nicht davor zurück, selbst bei denjenigen unter uns zu betteln, die sich Pavijur und dem Licht angeschlossen hatten. Pavijurs Hexe Metaha sollte uns beistehen, aber sie kam leider zu spät. Der Bote jedoch war von Ulljans tödlichem Fluch verschont geblieben. Es scheint so, als hätte er sich auf Ell eine Frau genommen und Nachwuchs gezeugt.«
Des Rätsels Lösung war denkbar einfach. Der Bote der Maya war ein Urahn des Lesvaraq. Was Tomal in diesem Schicksal sah, behielt er in seinen Gedanken verborgen.
»Du musst den Krieger töten, der die Gabe in sich trägt«, verlangte Saykara.
Tomal erschrak. Saykara forderte von ihm, dass er seinen eigenen Vater tötete. Wusste sie davon? Sie musste sich diesen Umstand doch denken können. Immerhin hielt sie Tomal für einen Angehörigen ihres Volkes, den Sohn des Feuers.
»Warum?«, wollte Tomal wissen. »Er muss doch deinen Worten zufolge ein Maya sein.«
»Genau wie du selbst mag er von unserem Blut sein, ja«, gab Saykara zu, »und doch ist er nur ein Bastard, der die Gabe durch einen unglücklichen Zufall erhielt. Der Bote hätte die Gabe niemals erlangt, wäre Gahaad nicht von Ulljan ermordet worden und unser Volk in die Schatten gegangen. Er war nicht unser erster Krieger. Die Gabe steht daher nach wie vorGahaad zu. Das sind wir ihm schuldig. Damit die Gabe jedoch frei wird und zu Gahaad zurückkehren kann, sobald wir ihn aus
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