Kryson 04 - Das verlorene Volk
ausgenommen.«
Plötzlich sprang die Tür mit einem lauten Krachen auf, der die beiden Wachen erschrocken veranlasste, zur Seite zu springen.
Tomal stand breitbeinig mitten in der Tür. Er war nur halbmit einer weiten Hose und einem Hemd angekleidet und unrasiert. Sein langes, pechschwarzes Haar fiel ihm in wirren Strähnen ins Gesicht. Das halb aufgeknöpfte Wollhemd gewährte Einblicke auf eine haarlose, gestählte Brust und einen ebenso muskulösen Bauch. Der Fürst stand mit bloßen Füßen auf dem blanken Eis, das ob seiner inneren Hitze zu schmelzen schien, und blickte Sapius forschend in die Augen. Nach all der gemeinsamen Zeit irritierten den Magier die unterschiedlich gefärbten Augen Tomals gelegentlich immer noch. Ein dunkles Feuer im Inneren der Augen des Lesvaraq verlieh ihnen einen unheimlichen Glanz. Sapius mochte sich das alles nur einbilden, aber das tiefblaue Auge schien für ihn in diesem Moment eindeutig mehr zu leuchten als das eisblaue. Tomal lächelte verwegen und bleckte dabei seine Zähne. Die oberen Schneidezähne bogen sich leicht nach hinten, wodurch die Eckzähne etwas hervorstanden. Sapius wusste, warum die Frauen in Eisbergen dem Fürsten scharenweise zu Füßen lagen und dessen Nähe suchten.
Der Lesvaraq galt als männlich und attraktiv. Die ihn stets umgebende Aura der Macht tat ihr Übriges, um ihm in dieser Hinsicht ein leichtes Auskommen und das notwendige Glück bei den Frauen zu verschaffen. Ob nun gerade die Dunkelheit in ihm vorherrschte oder das hellste und reinste Licht strahlte, war den meisten seiner Auserwählten offenbar gleichgültig. Sie waren dem Fürsten nur allzu gern freiwillig zu Diensten.
»Ah … Sapius, alter Freund«, begrüßte Tomal den Gefährten, »was führt dich zu so früher Hora zu mir? Entschuldige, dass ich dich nicht in meinen Gemächern empfangen kann. Aber ich möchte die junge Dame in meinem Bett nicht in Verlegenheit bringen. Das war der verdammt noch mal beste Liebesdienst, den ich jemals in meinem Leben hatte, und ich habe schon bei einigen gelegen, Sapius.«
»Ich weiß, Tomal«, rümpfte Sapius brüskiert die Nase.
Wegen einer Liebschaft abgewiesen zu werden oder in weit dringenderen Angelegenheiten warten zu müssen, schmerzte den Magier. Wie konnte sich ein höheres Wesen wie der Lesvaraq so hemmungslos den fleischlichen Gelüsten hingeben, wie Tomal es offensichtlich mit großem Vergnügen immer wieder trieb.
Sapius hatte nie zu denjenigen gehört, denen die Frauen nachblickten. Im Gegenteil, die Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht waren stets schmerzhaft für ihn ausgegangen. Er erinnerte sich deshalb nicht gerne daran. Sein entstelltes Aussehen erwies sich dabei auch eher als hinderlich. Entweder war er harsch abgewiesen worden oder ein anderer hatte ihm die Angebetete vor der Nase weggeschnappt. Ohnehin hatte er nur eine Frau getroffen, mit der er sich ein gemeinsames Leben hätte vorstellen können. Und Tomal erinnerte ihn ganz besonders schmerzlich an seine größte Niederlage.
»Nun?« Tomal sah den Magier fragend an.
»Willst du die Nachricht tatsächlich hier draußen in den Fluren des Palastes hören?«, fragte Sapius.
»Nein, lass uns in deine Kammer gehen«, antwortete Tomal. »Sollten wir nicht Tallia mit hinzuziehen, wenn es etwas Wichtiges zu besprechen gibt?«
»Natürlich«, nickte Sapius. Er hatte sie in der Eile vergessen, was ihm schon des Öfteren passiert war. »Dann gehen wir auf dem Weg bei ihren Gemächern vorbei.«
»Gut … – Sapius?!«
»Ja?« Der Magier ahnte Schreckliches.
»Wollen wir einen kleinen Wettkampf durch den Palast veranstalten? Wer von uns beiden zuerst bei Tallia ist?«
Sapius hasste diese Spielchen, bei denen der Lesvaraq seine Kräfte mit ihm messen wollte, obwohl Tomal genau wusste, dass er dem Magier in beinahe allen körperlichen Belangen deutlich überlegen war. Am Ende lief es meist auf eineböswillige Verspottung hinaus, die für Sapius demütigend war und ihm seine körperlichen Grenzen immer wieder aufs Neue aufzeigte. Aber vielleicht konnte er den Fürsten an diesem Morgen tatsächlich mit einer kleinen List schlagen und eine Abkürzung nehmen, die er erst vor wenigen Monden entdeckt hatte. Sapius witterte seine Gelegenheit.
»Meinetwegen, wenn es dir Vergnügen bereitet«, antwortete Sapius lächelnd.
»Du wirkst heute eigenartig siegessicher, Sapius«, sagte der Lesvaraq stirnrunzelnd. »Denkst du, ich hätte mich zu sehr verausgabt, um dich schlagen zu
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