Kryson 06 - Tag und Nacht
Aufwartung machen. Du wartest auf mich, bevor du mit den Prüfungen beginnst.«
»Ich warte«, sagte Grenwin, »lass dich von Saykara nicht einwickeln. Sie ist gefährlicher als eine Schlange, giftiger als die giftigste Spinne und gefräßiger als Peeva und ich zusammen. Ihr Netz ist unsichtbar, aber stark. Glaub mir, ich habe sie ständig beobachtet und kenne sie gut.«
»Das ist mir wohlbekannt, Grenwin«, antwortete Tarratar, »sie kann mir nicht gefährlich werden. Ihre Schönheit und ihre weiblichen Reize sind wie ein Fluch, mit dem sie die Männer reihenweise in die Falle lockt. Aber ich habe sie schon lange durchschaut und bin dagegen gefeit.«
»Dann ist es gut. Ich wünsche dir viel Vergnügen«, knurrte Grenwin, »aber einen Wunsch hätte ich noch. Überrede die Königin, mich in meinem Netz zu besuchen. Ich wüsste zu gerne, wie Saykara riecht und … schmeckt.«
»Nein, Grenwin. Das kommt nicht infrage. Aber ich verrate dir ein Geheimnis, das eigentlich keines ist. Saykara riecht und schmeckt phantastisch. Dir entgeht ein echter Leckerbissen«, lachte der Narr.
»Pah … und du nennst dich einen Freund«, schmollte Grenwin und zog sich in seinen Kokon zurück.
Beleidigt beobachtete die Raupe, wie Tarratar hüpfend und pfeifend über die Brücke sprang, die die Maya den Weg der Spinne nannten, dabei die Berührung mit den Fäden des Netzes geschickt vermied und schließlich den eisernen Riegel zur Seite schob und das Tor zur Stadt Zehyr öffnete. Der Narr schlüpfte durch den Spalt und zog das Tor wieder hinter sich zu.
Grenwin war neidisch und eifersüchtig auf den ersten Wächter. Er, die Raupe, war in seinem Netz gefangen. Das war frustrierend und wurde ihm in solchen Momenten immer wieder schmerzlich bewusst. Er bekam schrecklichen Hunger auf die Streiter, die ihm endlich wieder Abwechslung zu seiner sonstigen Kost bieten würden. Aber er musste geduldig sein. Lange konnte es nicht mehr dauern. Grenwin schloss all seine Augen und rollte sich in seinem Kokon zu einem Schläfchen zusammen. Das würde ihm guttun und die Zeit bis zum Eintreffen der Streiter für ihn verkürzen.
Fluch der Schönheit
Ü ber Nalkaar und sein Gefolge war das Unvorstellbare hereingebrochen. Die Pläne des Todsängers waren von einem auf den anderen Augenblick gescheitert. Das war eine herbe Niederlage, von der er sich nicht ohne Weiteres wieder erholen konnte. Er wusste, was er verloren hatte. Seine Zukunft vereitelt durch einen Magier, den er schlicht unterschätzt hatte.
Fluchend und ziellos zog Nalkaar durch die Klanlande. Er versuchte, sich an den Tagen im Verborgenen zu bewegen, um nicht gesehen zu werden und sich von dem Schock halbwegs wieder zu erholen, was ihm nicht recht gelingen wollte. Nalkaar brauchte Seelennahrung.
Während des Angriffs hatte Nalkaar kein Mittel gegen den Fluch des Magiers gefunden. Die Stille war nicht zu durchdringen gewesen. Vernichtend geschlagen, hatte er schließlich den Rückzug antreten müssen.
Zuvor schon hatte er Madsick an die Schatten verloren. Ein schwerer Verlust, der Nalkaar in seinen Überlegungen zur Perfektion seiner Komposition und der Schönheit seines Gesangs weit zurückgeworfen hatte.
Auch der Kontakt zu Murhab war abgebrochen. Nalkaar hatte verzweifelt versucht, seinen Todsänger zu erreichen, aber nichts hatte gefruchtet. Während er mit dem Heer der Rachuren zur Eroberung der Ordenshäuser der Sonnenreiter und Orna weitergezogen war, hatte Nalkaar die Verbindung mit Murhab in den Schatten nicht aufrechterhalten können und sich ausschließlich auf die Fähigkeiten des ehemaligen Kapitäns verlassen.
Doch nach ihrem kläglichen Scheitern vor den Ordenshäusern musste er ihn erreichen. Er hatte Murhab gesucht, hatte seine Gedanken in das Reich der Schatten geschickt, aber er konnte ihn nicht finden. Vermutlich war auch Murhab gescheitert und in den Schatten verschollen. Nalkaar hoffte nur, dass der Seemann nicht in den Flammen der Pein schmoren musste.
Das Heer der Rachuren war in alle Winde verstreut. Sein Gefolge von den Bewahrern außer Gefecht gesetzt. Sie waren nicht stark genug, sich von selbst wieder zu erholen, und ihm fehlte die Kraft, sie wiederzubeleben.
Es ergab auch keinen Sinn mehr, das Heer noch einmal zu sammeln. Nalkaar fehlten die Mittel und das Gefolge, ein solches Vorhaben in die Tat umzusetzen. Er musste zähneknirschend einsehen, dass sich die Rachuren nicht mehr auf die Fortsetzung seines Eroberungsfeldzuges einstimmen ließen.
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