Kryson 06 - Tag und Nacht
flüsterte Sapius, »im Augenblick scheint die Lage allerdings verworren. Die Eroberer sind sich nicht einig. Der Angriff geriet ins Stocken, nachdem ich etwas gezaubert habe. Wir könnten gleich einen Kampf zwischen dem ersten Krieger der Nno-bei-Maya und Tomal erleben.«
»Tja … und nun?«
»Wir warten ab, was geschieht«, schlug Sapius vor.
»Tja … also Eure Gelassenheit möchte ich haben«, meinte Jafdabh verdutzt und blickte sich verwundert um. »… aber … aber … das ist doch … das ist doch nicht möglich. Murhab! Mein Kapitän. Der beste Seemann, den ich je hatte. Ich dachte, er wäre beim Sturm auf Burg Fallwas gefallen. Mir wurde berichtet, er sei von Nalkaar zu einem Todsänger gewandelt worden. Wie ist es möglich, dass er jetzt in den Diensten der Nno-bei-Maya steht?«
»Vielleicht solltet Ihr ihn das bei Gelegenheit selbst fragen, sollten er und wir dies hier überleben. Jetzt ist gewiss nicht der geeignete Moment dafür«, antwortete Sapius.
Sapius fiel an Tomal auf, dass sich dieser geradezu aufreizend gelangweilt verhielt und sich nur mit Mühe ein Gähnen unterdrückte.
»Was ist nun, Gahaad?«, hörte er den Lesvaraq mit fester Stimme sagen. »Ihr müsst Euch schon entscheiden. Es wird langsam spannend, findet Ihr nicht? Die Verteidiger von Tut-El-Baya vermehren sich auf wundersame Weise. Wir verlieren Zeit. Jetzt ist es nicht mehr nur ein magischer Kampf. Wie wäre es, wenn Ihr Solatar gegen Jafdabhs Verteidiger schwingt, statt es mir über den Kopf zu halten?«
»Erspart Euch den Spott, Tomal«, entgegnete Gahaad, »ich bin erfahren und alt genug, meinen wahren Gegner zu erkennen. Bedauerlich nur, dass ich es nicht schon früher bemerkt habe. Ihr kämpft nicht für unsere Sache, sondern nur für die Eure. Die Fronten sind geklärt. Also zieht endlich Eure Waffe und kämpft gegen mich. Ich töte keinen unbewaffneten Mann.«
»Das, Gahaad, ist ein Fehler«, antwortete Tomal, während sich seine Augen zu Schlitzen verengten.
Der Lesvaraq öffnete das Buch der Macht, blätterte flink einige Seiten durch und sagte beiläufig:
»Rucknawzor!«
Sapius wurde bleich und schrie vor Entsetzen laut auf. Wie konnte Tomal dieses Wort in der Nähe des Buches gebrauchen? Tarratar hatte die Streiter eindringlich davor gewarnt. Ein Grollen kam von tief unter der Erde und ließ den Boden unter ihren Füßen erzittern. Gahaad, Jafdabh, Murhab und viele Krieger stürzten auf das Steinpflaster des Bodens. Gebäude wackelten, Steine und Dachziegel fielen herab. Der Hafen bebte.
»Bei den Kojos, Tomal«, schrie der Magier dem Lesvaraq zu, »bist du völlig von Sinnen? Das darfst du nicht. Du wirst uns alle vernichten!«
»Rucknawzor!«, rief der Lesvaraq, dieses Mal deutlich lauter. »Genau das hatte ich vor, Sapius. Die Zerstörung kommt vor der Schöpfung von etwas Neuem. War dir das nicht bewusst? Ich brauche das Buch, um die Zerstörung zu rufen. Tut-El-Baya und die Nno-bei-Klan müssen vernichtet werden. Rucknawzor!«
»Hör sofort damit auf!«, schrie Sapius verzweifelt.
Wieder ging ein Ruck durch die Stadt. Risse zogen sich durch Gebäude, Straßen und Hafenmauer. Einer der beiden Leuchttürme knickte ein und fiel donnernd und scheppernd ins Meer. Die Verteidiger und die Nno-bei-Maya waren starr vor Entsetzen. Schon der erste Erdstoß war stark gewesen. Aber das Beben nahm an Stärke noch zu.
»Flieht!«, rief Sapius. »Flieht, Ihr Narren.«
Niemand schien auf den Magier zu achten. Starr vor Angst waren sie mit sich selbst und den ständig stärker werdenden Erdstößen beschäftigt.
»Lauft um Euer Leben. Verlasst die Stadt!«, versuchte es Sapius verzweifelt weiter. »Der Lesvaraq ruft die Zerstörung. Die Naturgewalten werden alles vernichten.«
Murhab reagierte als Erster und war mit einem gewaltigen Sprung zurück an Deck des Sturmschiffes.
»Kappt die Leinen!«, schrie er der Besatzung seinen Befehl zu. »Gahaad! Komm sofort an Bord.«
Gahaad kroch in der schweren Rüstung und nass, wie er immer noch war, auf allen vieren zur Kaimauer. Das Sturmschiff hatte bereits abgelegt und war schon etwa sechs Fuß weit von der Kaimauer weggekommen.
»Rucknawzor!«, schrie der Lesvaraq aus voller Lunge.
Mit einem Satz sprang er Gahaad hinterher, landete auf dessen Rücken und drückte den ersten Krieger zu Boden. Tomal löste blitzschnell eine Klinge von seinem Gürtel, zog Gahaads Kopf zurück und durchtrennte ihm die Kehle.
»Nein!«, hörte Sapius Murhabs verzweifelte Stimme, der dem
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