Kryson 06 - Tag und Nacht
Thezael in vielerlei Hinsicht gewachsen und werde Euch nicht enttäuschen.«
»Das glaube ich Euch auf der Stelle und es betrübt mich zutiefst«, schüttelte Sapius den Kopf. »Einen Tyrannen gegen den Nächsten auszutauschen, habe ich ganz gewiss nicht im Sinn. Aber darum werde ich mir später Gedanken machen. Führt mich zu Thezael!«
Sapius war verunsichert. Was hatte er sich da bloß eingehandelt? Einen Kampfgefährten, der ihm jederzeit in den Rücken fallen konnte, wenn es nur zu seinem eigenen Vorteil war. Ein Praister, nicht besser als Thezael selbst.
Der Magier fragte sich, ob die Beeinflussung des Geistes wirklich funktioniert hatte oder ob der Praister nicht die erstbeste Gelegenheit gesucht und genutzt hatte, einen Verbündeten gegen Thezael zu finden, den er für fähig hielt, den Kampf gegen den Meister der Schattenbeschwörer zu gewinnen. Sapius musste sich vorsehen. Trotz der Beeinflussung durch Sapius schien er seinen Weg an die Macht unbeirrt zu beschreiten. Den Rücken durfte er diesem Praister nicht zudrehen. Er würde nicht zögern, ihn zu erdolchen, sollte es seinen Zielen dienen. Früher oder später hätte der ehrgeizige Mann den obersten Praister vielleicht auch ohne Sapius herausgefordert.
»Was bringen sie den Praistern nur bei?«
, dachte Sapius.
»Ich würde zu gerne erfahren, wie sie das Wesen eines Klan verbiegen, damit er zu solchen Boshaftigkeiten fähig ist und einen Bruder oder Freund ermordet?«
»Wie ist Euer Name?«, fragte Sapius den Praister.
»Poll, mein Herr«, antwortete der Praister, »meine Freunde nennen mich Polli. Wenn Ihr wollt, dürft Ihr mich ebenso rufen.«
»Bleiben wir bei Poll«, antwortete Sapius unwirsch.
»Darf ich Euch einen Rat geben, bevor wir weitergehen?«, fragte Poll.
»Ich höre.«
»Zieht Euch Fayzels Robe über. Sie müsste über Eure Kleidung passen. Das Blut ist kaum zu sehen. Außer den Praistern begegnet Ihr im Palast nur noch wenigen Dienern. Im Gewand eines Praisters fallt Ihr nicht so sehr auf und je näher wir Thezael kommen, desto mehr Praistern werden wir begegnen.«
Sapius nickte, bückte sich und begann, den toten Praister zu entkleiden. Doch schon im nächsten Augenblick zuckte er zurück, als er die Schatten bemerkte, die sich gerade der Seele Fayzels bemächtigten. Ein Schatten wich der Hand des Magiers aus und zischte:
»Sieh dich vor, Schattenbeschwörer«, hörte er den Schatten flüstern, »du bist nicht sicher im Tempel der Praister. Thezael ist mächtig und seine Praister sind ihm treu ergeben. Lass dich nicht von ihnen täuschen.«
»Was ist mit Poll?«, flüsterte Sapius stimmlos zurück. »Ich habe seinen Geist beeinflusst.«
»Das hast du«, bestätigte der Schatten, »dennoch wird er versuchen, dich zu töten, sobald er dich zu Thezael geführt hat. Seine Gedanken sind unrein.«
»Mit wem sprecht Ihr da?«, wollte Poll wissen.
»Ach … mit niemandem …«, log Sapius, »ich nuschle nur so vor mich hin.«
»So, so … ein Mann wie Ihr führt Selbstgespräche?«
»Sicher«, meinte Sapius, »ich muss Zauber üben.«
»Na schön, wenn Ihr so weit seid, können wir gehen.«
Sapius zog sich die blutige Robe über seine Kleider und folgte dem Praister in den tiefer gelegenen Tempel. Bald war das Tageslicht gänzlich verschwunden und der Weg wurde nur schwach von Öllampen und einzelnen Fackeln an den Wänden beleuchtet. Ein schummriges, unstetes Licht, das lange, tanzende Schatten warf. Der Magier hörte in der Entfernung immer wieder Schreie.
»Was ist das?«, fragte er Poll.
»Ihr meint die Schreie? Im Tempel werden Gefangene befragt. Meist Verräter an Thezael. Ketzer und Verbrecher. Hört gar nicht hin. Das gehört zu unseren täglichen Pflichten«, antwortete Poll.
»Was gehört zu Euren täglichen Pflichten?«, hakte Sapius nach: »Die Folter?«
»Die Befragung, Herr«, korrigierte Poll, »Ihr müsst wissen, es ist meist sehr schmerzhaft, die Wahrheit zu erfahren, und noch viel schmerzhafter, sie zu ertragen.«
»So kann man das wohl auch ausdrücken.« Sapius schüttelte den Kopf.
Der Weg in die Tiefe des Tempels glich einem Labyrinth aus verschlungenen Pfaden und führte sie um zahlreiche Ecken und durch Korridore, die einander zum Verwechseln glichen. Es war schwer, sich markante Ecken, Nischen oder Gegenstände zu merken. Sapius würde Mühe haben, alleine wieder herauszufinden. Er machte sich Sorgen deswegen. Das verschlimmerte sein ohnehin mulmiges Gefühl noch, das ihn beschlichen hatte, als
Weitere Kostenlose Bücher