Kryson 06 - Tag und Nacht
und sie getötet haben.«
»Eine Bestie?«, fragte der erste Sprecher verwundert. »Das kann doch nur ein übles Gerücht sein, um die Klan von den Straßen abzuhalten. Sie sollen ohnehin in ihren Häusern bleiben, so will es Thezael. Welche Bestie sollte schon durch die Straßen und Gassen Tut-El-Bayas streifen? So etwas habe ich noch nie gehört. Das größte und grausamste Untier, das ich kannte, war Tadder selbst.«
»Pst«, zischte der zweite Praister, »so etwas darfst du nicht sagen. Thezael schneidet dir sämtliche Gliedmaßen persönlich ab, wenn er davon erfährt. Tadder gehörte zu seinen engsten Vertrauten.«
»Ja, genau«, sagte der Mann mit der sonoren Stimme, »er hat die Drecksarbeit für Thezael erledigt.«
»Nun hör aber auf. Du bringst uns mit deinen Reden beide auf die Folterbank des Meisters.«
»Du wirst mich doch nicht verraten?«
»Nein«, sagte der zweite Sprecher, »ich bin nicht verrückt. Aber ich rate dir, hüte deine Zunge. Die Wände im Kristallpalast haben Ohren und Augen.«
Sapius schnalzte leise mit der Zunge. Das waren allerdings interessante Neuigkeiten. Die Praister waren gespalten, was Thezaels Handeln anging. Es war ein unschätzbarer Vorteil für ihn, dass die Praister die allzu häufige Beschwörung der Schatten als Bedrohung erachteten. Es machte sein Vorhaben leichter, einen Praister zu beeinflussen und für seine Sache zu gewinnen. Die Manipulation des Geistes würde ihn weniger Kraft kosten als ursprünglich gedacht. Der Magier rieb sich erwartungsfroh die Hände. Er musste so schnell wie möglich handeln. Die beiden Praister wären geradezu perfekt geeignet, ihn zu Thezael zu führen. Er musste nur ein klein wenig nachhelfen und sie würden alles tun, was er von ihnen verlangte. Aber dazu musste er ihnen in die Augen blicken, und sie waren zu zweit, was die Angelegenheit verkomplizierte. Ein magisches Auge für jeden der beiden. Das musste genügen.
»Aber was, wenn dies eine Falle ist?«
, fragte sich Sapius.
»Sie könnten mich erwarten und mich durch ihr Gespräch absichtlich in Sicherheit wiegen.«
Sapius verwarf den Gedanken rasch wieder. Einige Praister mochten zwar hinterlistig, verdorben und brutal sein, aber sie waren gewiss nicht vorausschauend genug, ihm eine solche Falle zu stellen. Warum sollten sie nicht gegen ihren Meister aufbegehren? Immerhin mochten einige unter ihnen das Herz am rechten Fleck tragen, gleichgültig ob sie aus guten Häusern oder armen Verhältnissen stammten. Sie hatten sich der Praisterschaft nicht verschrieben, um zu vergiften und ihre Macht zu vergrößern. Sie waren Schriftgelehrte. Die Praister konnten unmöglich alle verdorben sein, auch wenn ihre Ausbildung, der Weg an die Macht und die Fähigkeit, über die Schatten zu gebieten, viele Verlockungen bot. Wie Thezael waren sie Diener der Kojos.
Außerdem konnte Thezael unmöglich wissen, dass Sapius auf Jafdabhs Bitte in den Kristallpalast gekommen war, um ihn zu töten.
Plötzlich fühlte sich Sapius wie ein gemeiner Attentäter. Dieser Gedanke gefiel ihm überhaupt nicht. Er war kein Mörder, der sich für seine Dienste bezahlen ließ. Aber war dies wirklich etwas anderes? Das Buch für den Mord an Thezael, einem geweihten Diener der Kojos. Stellte sich Sapius mit einer solchen Tat gegen die Kojos und damit gegen das Gleichgewicht?
»Warum stelle ich mir ausgerechnet jetzt diese Frage?«
, ärgerte sich Sapius
. »Warum zweifle ich schon wieder? Ich weiß doch, dass es das Richtige ist. Kann ich nicht einmal einfach nur tun, was ich mir vorgenommen habe und mir aufgetragen wurde, ohne es ständig zu hinterfragen? Schluss damit! Thezael ist ein grausamer Tyrann und ein abgrundtief böser Mann. Er muss beseitigt werden.«
Einen Fuß vorsichtig auf die Treppe setzend murmelte er leise die Worte der Beeinflussung.
»In secra fadar kali te dore bachara.«
Sapius hatte den Spruch schon vor langer Zeit auswendig gelernt und konnte ihn inzwischen im Schlaf. Er hoffte nur, dass er stark genug war, die beiden Praister zu erreichen und für seinen Geist empfänglich zu machen. Den Spruch mehrmals wiederholend, schlich er sich langsam die Treppe hinab. Die beiden Praister blickten ihn erschrocken an, als er sie schließlich erreichte.
»Was … wer seid Ihr? Wie kommt Ihr hierher? Habt Ihr uns belauscht?«, fragte der Praister mit der sonoren Stimme.
An ihren Gewändern konnte Sapius erkennen, dass die beiden Praister einen höheren Rang bekleideten. Ihre blutroten Roben
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