Kryson 06 - Tag und Nacht
Ihr habt ihm die Schatten auf den Hals gehetzt. Der Preis für diesen Frevel ist hoch. Ich frage mich … was werdet Ihr tun, wenn ich … doch, ich will es wissen. Morta Sapius!«
Thezaels Befehl an die Schatten hallte schneidend durch die Kammer. Er hatte den Befehl anders ausgesprochen als Sapius. Härter und lauter. Sapius konnte sich denken, was nun folgte. Die Schatten regten sich erneut. Doch dieses Mal war er selbst das Opfer. Der Magier wich zurück und schwang den Stab, um die Schatten zurückzuhalten. Das Licht blendete sie und ließ sie für einen kurzen Moment verblassen. Aber sie kamen zurück, sobald sie aus der Reichweite seines Stabes und des Lichtkegels waren. Bald hatten sie den Magier umzingelt und stürzten sich auf ihn.
»Es tut uns leid, Schattenbeschwörer«, zischten sie, »wir müssen Thezael gehorchen. Er ist der Meister der Schatten.«
»Nein, das müsst Ihr nicht«, keuchte Sapius kaum hörbar, während er sich verzweifelt gegen die Schatten zu wehren versuchte, »ich bin stärker als er und befreie Euch aus seiner Knechtschaft. Ihr seid keine Sklaven, Ihr seid die Seelen der Verstorbenen. Frei und ungebunden. Niemand unter den Lebenden sollte über Euch gebieten und für seine Zwecke missbrauchen. Das ist Unrecht. Hört nicht auf ihn!«
»Wir werden dafür bezahlen, sollten wir uns Thezael widersetzen. Niemand von den Schatten will in den Flammen der Pein schmoren. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, welchen Schmerz wir erleiden müssten. Und das Nichts ist kein Ausweg. Es ist die Auslöschung der Seelen. Nichts von dem, was wir waren und sind, bleibt. Für immer verloren. Keine Erlösung im Nebel des Vergessens und keine Rückkehr in ein neues Leben«, fauchten die Schatten.
»Er wird Euch nichts mehr antun können, wenn ich ihn besiege. Lasst ab und vertraut mir«, flehte Sapius.
Der Magier rechnete nicht damit, dass die Schatten auf ihn hörten. Aber sie zogen sich plötzlich von ihm zurück und lauerten wie zuvor wieder an den Wänden und der Decke.
»Erstaunlich«, wunderte sich Thezael, »wie habt Ihr das gemacht? Die Schatten widersetzen sich meinem Befehl. Das kann nicht sein.«
»War das bereits alles oder habt Ihr noch mehr zu bieten, als die Schatten auf mich zu hetzen, Praister?«, provozierte Sapius den obersten Praister.
»Poll«, sagte Thezael, »töte den Frevler!«
Poll drückte sich dicht an die Wand. Sapius konnte sehen, dass seine Knie schlotterten. Der Praister zitterte am ganzen Leib und klapperte sogar mit den Zähnen. Schließlich nässte er sich ein.
»Was ist los mit dir?«, herrschte Thezael den Praister an: Hast du nicht gehört? Du sollst ihn töten! Du bist doch sonst nicht so zaghaft.«
»Das … das … kann ich nicht«, stammelte Poll.
»So, das kannst du nicht«, regte sich Thezael auf. »Ich sage dir, du tötest ihn auf der Stelle oder ich töte dich.«
Poll sank auf die Knie, nahm die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen. Sapius wusste genau, welchen inneren Kampf der Praister ausfechten musste. Die Beeinflussung hatte doch gewirkt, dessen war sich der Magier nun sicher. Er beherrschte den Geist des Praisters und drang in dessen Gedanken ein. Diesen Konflikt würde Poll niemals lösen können, sollte ihn Sapius nicht freigeben. Und das hatte er nicht vor.
»Ich kann nicht … oh, bitte … ich kann nicht«, flehte der Praister verzweifelt.
»Du bist eine Schande für die Praister«, sagte Thezael, »ein jämmerlicher Feigling. Steh auf und sei ein Mann. Töte ihn. Oder du hast es nicht verdient zu leben.«
»Nein … nein!«, schluchzte Poll.
Thezael war schneller, als Sapius vermutet hatte. Mit einem Sprung war der oberste Praister über Poll und jagte ihm das Messer von oben durch die Schädeldecke in den Kopf. Sapius war überrascht. Er hätte dem hager wirkenden Thezael weder die Geschicklichkeit noch die Kraft zugetraut, die nötig war, einen solchen Messerstoß zu vollführen.
Poll war tot und die Schatten stürzten sich auf die Seele des gerade Verstorbenen wie hungrige Bestien.
»Und nun zu Euch, Schattenbeschwörer oder was immer Ihr auch seid«, rief Thezael in seinem Zorn: »Nein, das war noch lange nicht alles. Ich zeige Euch, was ein Praister vermag.«
Thezael sprang zum Tisch mit der Leiche und schnappte sich zwei Messer, die dort bereitlagen. Klingen, die scharf genug waren, Fleisch, Muskeln und Knochen zu durchtrennen. Er begann, sich im Kreis zu drehen. Schneller und schneller. Die Konturen des Praisters
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