Kuehe essen Wiese auf
die zuckerarme Küche der Nordländer enorm bereicherten und die ärmlichen Vorratskammern mit ganz neuen Köstlichkeiten füllten. Die Obstbaumkultur auf der Basis klösterlichen Wissens nahm ihren Ausgang zunächst wohl – den römischen Handelswegen über den Brenner folgend – in Tirol, Oberösterreich und Böhmen und verbreitete sich von dort aus über ganz Mittel- und Nordeuropa. Gott sei Dank existieren auch heute noch viele ortsspezifische Obstbaumsorten, die – trotz der zunehmenden Tendenz zu großflächigen Tafelobst-Monokulturen – in geografischen Nischen überlebt haben und wunderbare Entdeckungsmöglichkeiten bieten. Und die alle ganz und gar ohne chemische Pflanzenschutzmittel auskommen. Wer also Lust und den Platz im Garten hat, mit dem Pflanzen von Obstbäumen den Keim für eine neue Obstwiese zu legen, der sollte vielleicht nach solchen alten, fast vergessenen Sorten Ausschau halten. Die Enkel und Urenkel werden es ihm Jahrzehnte später vielleicht danken. Ganze Generationen von Flügeltieren aller Arten sowieso.
Allerdings geht es bei den Obstbäumen nicht nur um den Ertrag (der bei zunehmendem Alter der Bäume und damit steigender Erntefülle nicht nur für Stadtflüchter auch zum Stressfaktor werden kann), sondern auch um deren wunderschöne Blüten. Wer seine Obstbäume richtig auswählt, wird aufgrund der unterschiedlichen Blütezeiten nicht nur bis in den Frühsommer hinein in Blütenwolken schwelgen, sondern im Herbst auch sensationelle Blattfärbungen beobachten können. So gesehen hat die Liebe zu Obstbäumen auch einen ästhetischen Aspekt der besonderen Art zur Folge. Da kann man auch Bienen, Hummeln, Schmetterlinge, Käfer und sogar Tausendfüßler fragen – sie würden auf jeden Fall für die Obstbäume stimmen.
Wer über die Anlage einer Obstwiese nachdenkt, kann gleich noch ein wichtiges Präzisionsgerät auf seine Einkaufsliste setzen: ein Fernglas. Aus manchem Hobby-Pomologen ist schon bald ein Hobby-Ornithologe geworden, da Obstbäume tatsächlich ideale und damit beliebte Brutstätten für zahlreiche Vogelarten sind. Wer mag da nicht die geflügelten Untermieter zwischen den Zweigen von Nahem beobachten wollen? Auf neu gepflanzten Obstbäumen wird zwar kein Pirol (der mit seinem gelben Gefieder aussieht wie ein entflohener Wellensittich) anzutreffen sein, und auch kein Gimpel (mancherorts Dompfaff oder Blutfink genannt), ebenso wenig der Wiedehopf mit seinem widerspenstigen Federschopf, der Stieglitz oder der Rotkopfwürger, denn sie alle leben ausschließlich in alten Obstbäumen. Aber mit dem Besuch von Amseln, Meisen, Finken und Staren kann man schon bei jungen Bäumen rechnen und natürlich wird auch der niedliche Feldsperling nicht fehlen, um nur einige der Bewohner aus den oberen Etagen zu nennen. Im Erdgeschoss kann man sich auf Frösche, Kröten, Blindschleichen und Igel einstellen. Und damit wäre das verlorene Paradies (weil Eva angeblich vom Apfel nicht lassen konnte) zumindest im Ansatz schon fast wieder komplett. Wobei sich die botanische Vielfalt einer Obstwiese nicht hinter dem tierischen Artenreichtum verstecken muss: Vom Frauenmantel über den Wiesenknopf, vom Löwenzahn bis zur Herbstzeitlosen und dem Wiesenschaumkraut, der wilden Möhre und der Schafgarbe, um nur einige wenige zu nennen, fühlen sich unzählige Pflanzen zwischen den Obstbäumen wohl und heimisch.
Einen Apfelbaum sollten Neueinsteiger unbedingt pflanzen. Spätestens dann, wenn ein Kind geboren wurde. Ein Haus bauen, ein Kind zeugen und einen Apfelbaum pflanzen, so heißt es doch. Aber der Apfelbaum sollte nicht nur deshalb den Anfang machen, weil er der symbolträchtigste Baum auf Erden ist und Apfelbaumgeschichten ganze Bibliotheken füllen. Von Adam und Eva war schon die Rede, Wilhelm Tells Apfelschuss ist ebenso berühmt wie Schneewittchens Apfelbissen. Es kann auch kein Zufall sein, dass ein weltberühmter Computer nach dem Apfel benannt wurde. Der Gründer der Firma Apple, Steve Jobs, war nach eigener Aussage Frutarier und machte eine Obstdiät nach der anderen. Er war der Meinung, dass das Wort apple freundlich klingt und dem Computer die Schärfe nimmt. Außerdem wollte er im Telefonbuch vor dem Konkurrenten Atari stehen. Wenn man bedenkt, welche Auswirkungen die Erfindung des Personalcomputers auf die ganze Welt hatte, ist der Apfel mit seiner Erinnerungssymbolik an Adam und Eva nicht schlecht gewählt. Die Stadt New York wird übrigens auch mit dem Apfel in Verbindung gebracht.
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