Kuehler Grund
gearbeitet und kannte den Kontrast zwischen der Lockerheit, die Tailby im Umgang mit einzelnen Beamten an den Tag legte, sogar mit einem kleinen Detective Constable, und der furchtbaren Gestelztheit, die ihn immer dann zu überkommen schien, wenn er es mit der Öffentlichkeit zu tun hatte. Er verfiel automatisch in den üblichen Polizeijargon, wenn er mit jemandem sprechen musste, der weder ein Verdächtiger noch ein Kollege war. Ihm fehlten die Worte für ein normales Gespräch mit ganz gewöhnlichen Bürgern, die sich nichts hatten zu Schulden kommen lassen. Es war, als ob er sie mit nichts sagenden, amtlichen Floskeln auf Abstand halten wollte.
Bei aller Erfahrung in der kriminalpolizeilichen Ermittlungsarbeit war Tailbys mangelndes PR-Talent ein ernstes Karrierehindernis. Mit der Zeit würde man ihn vermutlich auf einen Verwaltungsposten wegloben, auf dem er so viele gestelzte Berichte und Memoranden verfassen konnte, wie er nur wollte. Cooper würde seinen Weggang bedauern. Aber jeder Mensch hatte eine verhängnisvolle Schwäche. Bei manchen war sie nur weniger deutlich zu erkennen.
»Wenn der Täter seine fünf Sinne beisammen hatte, hätte er den Stein bloß in den Bach werfen müssen, Sir.«
Sie gingen ein paar Schritte und sahen hinunter in die Schlucht, durch die der Eden Valley Wanderweg verlief. Das seichte Bachbett war mit handlichen Steinen übersät. Es waren hunderte, tausende, unablässig umspült vom kühlen, rauschenden Wasser.
»Sehen wir mal nach, ob die Vernons zu Hause sind«, sagte Tailby müde.
Graham Vernons Gesicht war schon gerötet und verquollen, bevor er sich richtig in Rage redete. Vermutlich suchte er in der gegenwärtigen Situation zu oft Trost im Alkohol, dachte sich Cooper mit einem Blick auf die Bar.
»Ich begreife nicht, warum Sie auch nur ein Wort von diesen Behauptungen über meine Tochter glauben, Chief Inspector. Es ist doch keinen Pfifferling wert, was dieser Lee Sherratt über sie verbreitet.«
Wie nicht anders zu erwarten, reagierte Tailby distanziert auf Vernons Empörung. Sie waren wie zwei wohlerzogene Katzen, von denen allmählich die Tünche der Zivilisation abfiel, während sie sich voller Imponiergehabe mit gesträubtem Fell umkreisten.
»Wir beziehen uns nicht nur auf die Aussage von Mr. Sherratt, sondern auch auf die von Mr. Holmes. Natürlich müssen wir diese Aussagen bei unseren Ermittlungen berücksichtigen.«
»Wer zum Teufel ist Mr. Holmes?«
»Simeon Holmes war Lauras Freund.«
Vernon schnappte nach Luft. »Ihr was?«
»Überrascht es Sie, dass Laura einen Freund hatte?«
»Ob es mich überrascht? Das ist doch blanker Unsinn, was Sie da erzählen. Laura hatte keine Zeit für einen Freund. Während der Woche hat sie für die Schule gelernt. Sie war ein fleißiges Mädchen. Und am Wochenende hatte sie Musikunterricht. Sie hat stundenlang Klavier geübt. Sonntags ist sie reiten gegangen – ihr Pferd steht in einem Stall in der Buxton Road. Entweder ist sie ausgeritten, oder wir sind mit ihr zu einem Reitturnier gefahren. Ansonsten war sie im Stall. Sie war wie die meisten fünfzehnjährigen Mädchen, Chief Inspector. Sie hat sich mehr für Pferde als für Jungen interessiert. Und dafür danke ich Gott. Mit fünfzehn ist man zu jung für einen Freund.«
»Trotzdem …«
»Wer ist dieser Holmes überhaupt? Wahrscheinlich ein Schulkamerad. Ich hätte sie lieber auf eine reine Mädchenschule geschickt, aber dann hätten wir sie ins Internat geben müssen. Meine Frau wollte, dass Laura zu Hause wohnt. Ein Fehler, wie es nun scheint.«
Tailby ignorierte Vernons heruntergezogene Mundwinkel und hakte nach. Er durfte ihm keine Gelegenheit geben, in Trauer oder Selbstmitleid zu verfallen.
»Laut Mr. Holmes hat Laura die Schule gehasst. Sie hat den Unterricht geschwänzt, um sich mit ihm in Edendale zu treffen. Und nicht nur mit ihm, sondern auch mit anderen jungen Männern. Wussten Sie davon, Sir?«
»Nein, das ist mir neu.«
»Vielleicht weiß Ihre Frau mehr über diesen Aspekt im Leben Ihrer Tochter, Sir.«
»Es wäre mir wirklich lieber, wenn Sie meine Frau mit solchen Fragen verschonen könnten«, sagte Vernon. »Sie hat sich gerade erst wieder ein wenig gefangen, Chief Inspector. Machen Sie es bitte nicht wieder schlimmer.«
»Mrs. Vernon schien sich heute Morgen vor den Fernsehkameras sehr gut zu halten. Es lief wirklich ausgezeichnet, Sir.«
»Man greift nach jedem Strohhalm.«
Ben Cooper, der sich im Hintergrund hielt,
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