Kuehler Grund
Fragen waren nicht gerade subtil gewesen. Wegen seiner lässigen Art konnte man Holmes leicht unterschätzen. Aber jetzt hatte er eine Wahl. Wenn er schuldig war, würde ihn der Abdruck überführen. War er aber unschuldig, wäre er durch den Abdruck entlastet und hätte die Polizei vom Hals. Fry und Hitchens warteten geduldig auf seine Entscheidung.
»Okay«, sagte er. »Kein Problem.«
Hitchens machte ein enttäuschtes Gesicht. Doch bevor er etwas sagen konnte, klopfte es und DS Rennie streckte den Kopf zur Tür herein. Angeekelt schnitt er eine Grimasse, als ihm der üble Geruch entgegenschlug. Hitchens verkündete eine Vernehmungspause, schaltete die Kassettenrekorder aus und ging in den Korridor, um mit Rennie zu sprechen.
Als sie allein waren, konnte Fry den jungen Mann noch einmal in aller Ruhe betrachten. Obwohl Simeon Holmes ihrem Blick nicht auswich, war ihm seine zur Schau getragene Selbstsicherheit in den letzten Minuten ein wenig abhanden gekommen. Seit DI Hitchens den Raum verlassen hatte, schien er sich in seiner einstudierten Rolle nicht mehr wohl zu fühlen. Fry begriff nicht ganz, was in ihm vorging. Sie hatte nicht den Eindruck, dass er während der Vernehmung gelogen hatte. Aber trotzdem … Wie alt war Holmes? Siebzehn?
»Sind Sie in der Oberstufe der Community School, Simeon?«, fragte sie.
Holmes zog schweigend die Augenbrauen hoch und warf einen viel sagenden Blick auf die ausgeschalteten Aufnahmegeräte.
»Nur eine Frage«, sagte sie.
Er grinste träge, aufreizend und selbstgefällig. Aber er machte den Mund noch immer nicht auf.
»Nur so ein Gedanke«, sagte Fry. »Ich wette, Sie haben mehr im Kopf als die meisten Ihrer Kumpel.«
»Worauf Sie sich verlassen können.«
»Ich wette, Sie sind ziemlich gut in der Schule, wenn Sie sich Mühe geben. Was sind Ihre besten Fächer? Lassen Sie mich raten. Maschinenbau? KFZ-Mechanik?«
Holmes lachte höhnisch. »Chemie und Biologie, wenn Sie es genau wissen möchten. Ich mache nächstes Jahr Abitur.«
Fry sah sich mit einem Mal einem völlig neuen Simeon Holmes gegenüber, der sogar anders sprach als vorher.
»Das nützt Ihnen aber nicht viel, wenn Sie an Ihrer Maschine herumbasteln wollen, oder?«, sagte sie.
Der junge Mann schnaubte verächtlich und schaltete auf stur. Fry konnte ihm fast ansehen, wie er wieder in seine alte Rolle schlüpfte.
»Aber vielleicht wollen Sie ja auch studieren«, sagte sie. Zu ihrer großen Befriedigung konnte sie beobachten, wie Simeon rot wurde. Sie hatte ein Thema berührt, das ihm peinlich war. Etwas, worüber er mit seinen Motorradkumpeln nicht reden konnte.
»Mit guten Noten in Chemie und Biologie könnten Sie … was studieren? Medizin vielleicht?«
Er bewegte lautlos die Lippen. Sein Blick flackerte gequält, als ob Fry ihm einen Tiefschlag versetzt hätte. Sie beeilte sich, diesen Vorteil auszunutzen.
»Habe ich Recht? Möchten Sie Arzt werden, Simeon?«
Doch der Bann war gebrochen, als DI Hitchens die Tür öffnete, gerade noch rechtzeitig, um die beiden letzten Fragen mitzuhören. Er verzog das Gesicht bei dem Gedanken, dass er womöglich eines Tages in die Praxis seines Hausarztes kommen würde, um von diesem Schnösel behandelt zu werden. Mit einem Kopfnicken bedeutete er Diane Fry, ihn nach draußen zu begleiten. Simeon Holmes blieb allein zurück, grinsend und von seinem unangenehmen Geruch umgeben.
»Wir können ihn wieder Morgan überlassen«, sagte Hitchens. »Man hat die Wanderer gefunden. Wir fahren nach West Yorkshire, Diane.«
Ben Cooper hatte Daniel Vernon noch nie zuvor gesehen. Der erste Eindruck war nicht gerade überwältigend, aber er hatte gelernt, sich über Menschen, die jünger waren als er selbst, keine vorschnelle Meinung zu bilden. Es war ein Fehler, jemanden zu verurteilen, nur weil er sich anders kleidete und anders benahm. Daniel Vernon war Student. Möglich, dass er nächtelang in der Disco herumhing, Hasch rauchte und Ecstasy einwarf. Möglich, dass er jede Nacht eine andere Frau mit nach Hause nahm und den ganzen Tag im Bett blieb. Möglich auch, dass er sich nichts dabei dachte, Verkehrsschilder zu klauen und im Pub Biergläser und Aschenbecher mitgehen zu lassen. Aber in einigen Jahren, wenn er ein angesehenes, wohlhabendes Mitglied der Gesellschaft war, würde er von der Polizei besseren Schutz verlangen.
Daniel sah so aus, als ob er zu viel billiges Bier trank. Er trug ein schmuddeliges weißes T-Shirt, auf dessen Brust der Name einer amerikanischen
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