Kuehler Grund
und starrte DCITailby und DC Fry würdevoll an, als wüsste er als einziger Anwesender, wie man sich richtig benahm.
»Vernehmungsbeginn 14:30 Uhr, Freitag, den 27. August. Anwesend sind Detective Chief Inspector Tailby …«
»Detective Constable Fry …«
Tailby nickte Harry zu. »Würden Sie sich bitte für die Aufnahme identifizieren, Sir?«
»Ich heiße Harry Dickinson.«
»Sie haben das Recht, einen Anwalt hinzuzuziehen, Mr. Dickinson. Haben Sie einen eigenen, oder sollen wir Ihnen einen Pflichtverteidiger
stellen?«
»Ich brauche keinen.«
»Sind Sie sicher?«
Harry ignorierte die Frage. Tonband hin oder her, schien er zu sagen, es gab Zeiten, wo jedes Wort zu viel gewesen wäre.
»Sind Verpflegung und Ruhezeiten ausreichend?«, fragte Tailby förmlich. »Hat man Ihnen Gelegenheit gegeben, einen Telefonanruf zu
tätigen?«
»Wo ist mein Hund?«
»Er wird versorgt, Mr. Dickinson«, sagte Fry.
»Sie ist eine Sie, kein Er«, sagte er mit unverhohlener Verachtung.
Tailby warf ihm einen zornigen Blick zu. »Wir müssen Ihnen noch weitere Fragen stellen, Mr. Dickinson.«
Harry starrte ihn stoisch an. Obwohl er noch immer den Wachspa pieroverall trug, erweckte er fast den Eindruck, einen Anzug zu tragen. Die Turnschuhe, die man ihm gegeben hatte, sahen beinahe so aus, als ob sie über Nacht geputzt worden wären.
»Dann fragen Sie«, sagte er.
Harrys Vernehmung dauerte mit Unterbrechungen den ganzen Tag. Man sorgte dafür, dass er zu den gewohnten Zeiten zu essen bekam und sich zwischen den Sitzungen ausruhen konnte. Immer wieder wurde er gefragt, ob er einen Anwalt wollte.
Nach dem Polizeigesetz waren die Beamten dazu verpflichtet zu gewährleisten, dass er die ihm gestellten Fragen verstand, dass er weder depressiv noch erschöpft war oder unter dem Einfluss irgendwelcher bewusstseinsverändernder Substanzen stand, dass er ausreichend verpflegt wurde und die Toilette benutzen durfte.
Wechselnde Teams lösten sich bei der Befragung ab, um Zielrichtung und Art der Fragen immer wieder ändern und Harrys Aussage so vielleicht erschüttern zu können. Die abgelösten Beamten hörten in der Zwischenzeit die öden Aufnahmen über Kopfhörer ab und hielten die Aussagen im Vernehmungsprotokoll fest. Zwischen den Sitzungen analysierten sie die Ergebnisse und überlegten sich das weitere Vorgehen. Außerdem hatten auch die Beamten – nach einer Stunde mit Harry Dickinson – eine Pause bitter nötig.
»Natürlich können auch alte Männer sich mal geil fühlen, das verstehen wir, Harry. Der Geschlechtstrieb verschwindet schließlich nicht ganz. Stimmt’s, Harry? Nicht wie manche Leute denken. Die jungen Dinger erregen Sie immer noch, stimmt’s?«
DI Hitchens beugte sich weit über den Tisch und sah Harry forschend an. Er suchte nach einem Sprung in der starren Maske. Um irgendeine Reaktion zu provozieren, bohrte und stocherte er weiter.
»Es ist bloß kein schöner Gedanke, dass der eigene Großvater immer
noch hinter den jungen Dingern her ist, genau wie früher. Deshalb tut man lieber so, als ob so was nicht vorkommt. Kehren wir es unter den Teppich, und reden wir nicht davon. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Aber wir wissen es besser. Nicht wahr, Harry?«
Harry schwieg, eingehüllt in seine Lebenserfahrung, und sah Hitchens an, als ob er einen Einfaltspinsel vor sich hätte.
»Weil es manchmal zu weit geht. Weil Sie sich manchmal nicht beherrschen können. Habe ich Recht, Harry?«
Der alte Mann zog verächtlich eine Augenbraue hoch. Was seine Selbstbeherrschung anging, konnte er noch manchem Jüngeren etwas vormachen.
Alle Beamten, die an den Vernehmungen teilnahmen, waren in Befragungstechnik ausgebildet. Der Schlüssel zum Erfolg waren offene Fragen wie wer, warum, wann, wo und wie, mit denen man sich an das Ziel herantastete. Auf die Antworten folgte das gezielte Nachfassen. Die Theorie besagte, dass es umso unmöglicher wurde, eine erfundene Geschichte aufrechtzuerhalten, je länger und genauer man ihr auf den Grund ging.
Und was Entscheidungsfragen anging, also Fragen, die sich mit einem einzigen Wort beantworten ließen, so waren sie für jemanden wie Harry ein gefundenes Fressen.
»Uns liegt die Aussage eines Mr. Gary Edwards vor, eines Vogelbeobachters, der in der Nähe des Fundortes von Laura Vernons Leiche eine Person gesehen hat, auf die Ihre Beschreibung passt. Eine Person, die von einem Hund begleitet wurde. Waren Sie das,
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