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Kuehler Grund

Titel: Kuehler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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einen letzten Fußtritt zu verpassen. Fry reagierte. Sie verpasste ihm einen Schlag in die Nieren, riss ihm die Beine weg und brach ihm mit einem brutalen Handkantenschlag die Nase.
    Mit einem überraschten Aufschrei ging der zweite Jugendliche von links auf sie los. Aber er hatte zu lange gezögert, und sie lenkte seine Faust mit einem Unterarmblock ab. Sie fuhr herum, brach ihm mit einem scharfen Tritt die Kniescheibe und schlug ihn mit einem Ellenbogenschlag gegen den Unterkiefer k.o.
    Plötzlich legte sich von hinten ein Arm um ihren Hals. Der dritte Jugendliche war stark und viel größer und schwerer als sie. Er hielt ihre Arme fest und rammte sie gegen die Mauer, sodass sie mit der Stirn gegen die Steine stieß. Als sie sich nicht mehr bewegen konnte, drückte ihr der Angreifer die Kehle zu. Sie roch seine Bierfahne, sein Atem brannte ihr im Nacken. Mit dem Körper, der sich an sie presste, mit dem Geruch der schweißnassen Männerhände kam das Grauen zurück, die schwarzen Albträume kehrten wieder, die sie seit über einem Jahr quälten, die stammelnden, kreischenden Dämonen in ihrem Hinterkopf, jedes Mal, wenn sie die Augen schloss oder im Dunkeln stand.
    In ihrer Panik schoss sie über das Ziel hinaus. Sie holte tief Luft, knickte in der Hüfte nach vorne und rammte ihm rückwärts den Absatz in den Unterleib und den Ellenbogen in den Solar plexus. Er ächzte vor Schmerz und lockerte seinen Griff. Sie wirbelte herum und schüttelte seine Hände mit einem Aufwärtsblock ab. Er stolperte nach hinten, und sie zielte mit der Speerhand genau auf seine ungeschützte Kehle, mit einem Kiai, einem Kampfschrei tief aus dem Bauch.
    Als sie zum letzten Schlag ansetzte, wusste sie, dass er tödlich sein würde.
     
    Harry hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihm seine Sachen wegnehmen würden. Er hatte sich schon seit Jahren nicht mehr vor fremden Menschen nackt ausgezogen. Während er in dem kleinen Untersuchungsraum des Reviers stand, sah er verwundert zu, wie jedes Teil, das er ablegte, sorgfältig eingetütet, beschriftet und versiegelt wurde. Zuerst nahmen sie ihm Mütze, Anzugjacke und Hose ab. Dann die auf Hochglanz gewienerten Schuhe und die Socken. Sie nahmen sein Hemd und sogar seine Krawatte. Sie untersuchten jedes Kleidungsstück, griffen mit ihren behandschuhten Händen in seine Taschen und betasteten die Säume.
    Der Untersuchungsraum roch stark nach Desinfektionsmitteln, gemischt mit dem Gestank nach altem Erbrochenen. Trotz der Wärme zitterte der alte Mann, die weißen, eingefallenen Hüften und die sehnigen Arme nackt dem grellen Licht der Neonröhren ausgesetzt. Die Haare an seinen Beinen waren grau und drahtig, nur an den Waden hatte er nackte, helle Stellen, wo die Haut so glatt wie die eines Babys war, wächsern und bleich, als ob nie ein Sonnenstrahl dorthin gedrungen wäre.
    Mit jeder Lage, die er ablegte, verkroch Harry sich ein wenig mehr in sich selbst. Eine distanzierte Ruhe umgab ihn, wie Schichten von Schleiern, die sein Innerstes verhüllten und seine Würde bewahrten, ja sogar stärkten. Er starrte stur vor sich hin und würdigte den Labortechniker und den Kripobeamten, der ihm seine Sachen abnahm, sie untersuchte und zusammenfaltete, keines Blickes. Er schwieg, kein Wort des Protestes kam über seine dünnen Lippen, die er fest zusammenpresste. Der Beamte protokollierte jedes Kleidungsstück und beschriftete die Etiketten mit einer Sorgfalt, als ob er einen Haufen Altkleider auszeichnete, die Harry für einen wohltätigen Zweck gespendet hatte.
    Schließlich musste er auch noch Unterhemd und Unterhose ausziehen. Für die Unterhose schienen sie sich besonders zu interessieren, denn sie wendeten sie und untersuchten den Schlitz genauestens auf Flecken, bevor sie sie, wie die übrigen Sachen, verpackten und versiegelten.
    Als Harry völlig nackt war, gaben sie ihm einen weißen Overall aus Wachspapier, der sich auf der Haut eiskalt anfühlte und bei jeder Bewegung raschelte. Die Ärmel reichten ihm kaum bis zu den Handgelenken, und der Kragen ließ sich nicht schließen.
    Sie erklärten ihm zum wiederholten Mal, dass er einer Vergewaltigung verdächtigt wurde. Sie fragten ihn, ob er auch wirklich bereit sei, sich Proben für die Analyse abnehmen zu lassen, mit deren Hilfe sich der Verdacht gegen ihn möglicherweise entkräften lassen würde. Er stimmte zu, ohne den Sinn der Frage ganz zu begreifen. Er dachte, sie meinten seine Sachen, die ja bereits in Plastiktüten verstaut waren und

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