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Kuehler Grund

Titel: Kuehler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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gehört hatte, war groß und protzig. Sie hatte einen streng gestalteten Garten voller Rhododendren und Azaleen und eine Terrasse mit einem überwältigenden Blick über das Tal. Cooper war dort zum achtzehnten Geburtstag eines Klassenkameraden eingeladen gewesen. Dass der Junge wohlhabende Eltern hatte, wussten an der alten Edendale High School alle, noch bevor sie in den Genuss einer Hausführung gekommen waren. Die damaligen Besitzer waren nicht die Vernons gewesen, sondern Einheimische, die Familie eines Mannes, der im Peak District eine Hand voll kleinerer Tankstellen geerbt hatte und von Edendale und den umliegenden Dörfern aus bis über die Grenzen Derbyshires hinaus expandiert hatte, bis nach Süd-Yorkshire und an den Rand der Großstädte.
    Natürlich hatte er das Geschäft letztlich an eine größere Gesellschaft verkauft und dabei tüchtig abkassiert. Anschließend war er weggezogen. Ins Ausland, hieß es. Nach Südfrankreich oder Italien, so wurde allgemein vermutet.
    Die Villa hatte eine Zeit lang leer gestanden, bis zum Ende der Rezession. Abbildungen ihrer eleganten Fassade fanden sich regelmäßig in den exklusiveren Immobilienanzeigen der Landhaus-Magazine. Wenn die Dorfbewohner im Wartezimmer des Arztes saßen, staunten sie über die Anzahl der Bäder, rätselten darüber, was wohl ein Wirtschaftsraum war, und schüttelten ungläubig den Kopf über die vielen Nullen im Kaufpreis. Irgendwann hatten dann die Vernons die Villa gekauft. Niemand wusste, woher sie kamen oder was Mr. Vernon beruflich genau machte, außer dass er Geschäftsmann war. Er fuhr jeden Morgen mit seinem Jaguar XJS Richtung Sheffield und blieb manchmal tagelang fort. Gehörte er auch zu denen, die im Peak District nur eine kleine Zwischenstation einlegten, bevor sie sich in der Toskana niederließen?
     
    »Das Überstundengeld kommt Ihnen doch bestimmt auch nicht ungelegen. Waren Sie nicht gerade im Urlaub?«, fragte Garnett.
    »In Schottland«, antwortete Cooper.
    »Ach, du lieber Himmel. Schottland? Da ist es doch genauso wie hier, bloß mit ein bisschen feuchter. Das wäre nicht mein Fall. Wenn ich in Urlaub fahre, will ich Sand und Sonne sehen. Und mich billig volllaufen lassen. Ich stehe auf Ibiza. Jede Menge englische Pubs und Kasinos. Ein paar Flaschen Sangria, eine Paella und dann nichts wie ran an die Spielautomaten. Das ist für mich das Höchste. Außerdem würde meine Frau sich scheiden lassen, wenn ich ihr mit etwas anderem käme. Im nächsten Jahr will sie auf die Malediven. Ich weiß noch nicht mal, wo die liegen.«
    »Irgendwo östlich von Ibiza, glaube ich«, sagte Cooper. »Aber da würde es Ihnen auch gefallen.«
    Die Reihe bewegte sich wieder vorwärts, und Cooper verscheuchte einen Fliegenschwarm vor seinem Gesicht. Sonne, Sand und billigen Fusel, an so etwas konnte er jetzt nicht denken. Selbst während der vierzehn Tage in den Steilwänden der Isle of Skye war er oft in Gedanken nicht ganz bei der Sache gewesen, sondern schon bei den Auswahlgesprächen für eine mögliche Beförderung, die in wenigen Tagen stattfinden sollten. In der Dienststelle E wurde in Kürze eine Stelle als Detective Sergeant frei. DS Niles war nun schon seit Wochen krankgeschrieben, und alles schien auf die übliche krankheitsbedingte Frühpensionierung hinauszulaufen – eine weitere Belastung des ohnehin schon überstrapazierten Polizeihaushalts. Ben Cooper hielt sich für Niles’ idealen Nachfolger: zehn Jahre im Polizeidienst, fünf davon bei der Kripo, bessere Ortskenntnisse als die übrigen Kollegen in seiner Schicht zusammengenommen. Er wollte und musste den Posten als Sergeant bekommen. Außerdem war es der Wunsch seiner Familie. Cooper dachte an den verzweifelt hoffnungsvollen Blick seiner Mutter, wenn er von der Arbeit nach Hause kam, an die Frage, die sie genauso oft unausgesprochen ließ, wie sie sie stellte. Er musste tagsüber oft an sie denken, jedes Mal, wenn er einen kranken oder alten Menschen sah. Er dachte an ihre Schmerzen, die anscheinend gar nicht mehr besser werden wollten, an ihren Kummer und an das Einzige, was er tun konnte, um ihr Leid vielleicht ein wenig zu lindern. Er sehnte sich danach, ihr das zu geben, was sie sich am meisten wünschte, nur dieses eine Mal.
    Die Reihe der Männer war inzwischen so weit unter die Bäume vorgedrungen, dass das Laubdach den Lärm des Polizeihubschraubers dämpfte, der noch immer über dem Tal kreiste und die Wälder mit der Wärmebildkamera absuchte. Der Übergang

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