Kühlfach vier
in dieser speziellen Situation in einer Ente, die auf den Sekundenmeter genau
mit erlaubter Höchstgeschwindigkeit von einem dufflebecoateten Mediziner durch ein winterliches Köln gesteuert wurde. Höchste
Zeit, dass ich wieder in die Realität zurückfand.
»Die Polizei hat beschlossen, den Mord an mir nicht nur ungesühnt, sondern sogar unermittelt zu lassen«, formulierte ich eiskalt,
wie der Hollywoodheld nicht finsterer |72| hätte bemerken können. »Ein Mensch mit Alkohol im Blut und den zerbrochenen Resten einer Flasche Schnaps in der Jackentasche
ist es wohl nicht wert, dass man weiter über ihn nachdenkt.«
Natürlich wusste ich, dass ich erstens dem System im Generellen und zweitens Martin persönlich im Besonderen mit diesem blöden
Assispruch Unrecht tat, aber ich war verzweifelt und drehte an jeder Schraube, die ich erreichen konnte. Und in meiner Reichweite
war nur Martin, der schon wieder wie ein angeschossener Affe auf einem Mofa Schlangenlinien fuhr, weil sein Telefon losbimmelte.
»Gänsewein.« Er meldete sich tatsächlich nett und zuvorkommend mit seinem Namen – voll korrekt nach Straßenverkehrsordnung
über die Freisprechanlage.
»Hi, hier ist Gregor. Wir wollten doch was trinken gehen. Wie wär’s jetzt gleich?«
»Äh, also weißt du, ich fühle mich nicht so gut …«
»Ist alles in Ordnung, Martin? Bist du krank?«
»Nein, ich bin nicht krank«, sagte Martin. Seine Stimme klang, als hätte er mindestens einen Steckschuss im Zwerchfell.
»Du warst gestern Abend schon ein bisschen komisch«, fühlte Gregor weiter vor. »Sag doch, wenn dir was fehlt. Ist etwas nicht
in Ordnung?«
»Es ist grün«, quatschte ich dazwischen, denn die Ampel, an der er gerade noch hatte anhalten können, war inzwischen wieder
umgesprungen.
»Ich weiß, dass es grün ist«, sagte Martin laut und genervt ins Telefon.
»Was sagst du?«, fragte Gregor zurück.
|73| »Nichts, nur die Ampel ist grün«, entgegnete Martin. »Also bei mir ist eigentlich soweit alles in Ordnung, ich fühle mich
nur ein bisschen abgefidelt.«
Auweia, das Wort hatte er von mir, das gehörte eigentlich gar nicht in seinen Sprachschatz. Gregor tat, als sei ihm nichts
aufgefallen. »Na ja, dann vielleicht morgen …«
»Moment«, schrie ich und Martin keuchte erschreckt.
»Was ist?«, rief Gregor, offenbar durch das erschreckte Keuchen höchst alarmiert. Vermutlich befürchtete er einen Unfall oder
so etwas.
»Was ist mit dem SLR?«, fragte ich.
»Dem SLR?«, echote Martin.
»Was hast du gesagt?«, fragte Gregor.
»Du wolltest ihn doch fragen, ob ein SLR gestohlen gemeldet worden ist«, erinnerte ich Martin.
»Sag mal, ist letzte Woche ein SLR gestohlen gemeldet worden?«, plapperte Martin treubrav in die Sprechanlage. Er hatte offenbar
keinen Widerspruchsgeist mehr.
»Keine Ahnung«, entgegnete Gregor. »Warum interessiert dich das?«
»Tu mir einfach den Gefallen und sieh nach, okay?«, bat Martin mit einer Stimme, aus der eine tiefe Erschöpfung sprach.
Einen Moment war es still in der Leitung, dann bat Gregor um eine Sekunde Geduld, wir konnten im Hintergrund Gemurmel hören,
dann kam er wieder ans Telefon.
»In Köln ist noch nie ein SLR gestohlen gemeldet worden. Weder letzte Woche noch davor oder danach. Verrätst du mir morgen,
weshalb du das wissen willst?«
»Jaja«, antwortete Martin, murmelte noch einen Dank und schaltete ab.
|74| »Siehst du?«, fragte ich triumphierend. »Wer eine Leiche im Kofferraum hat, meldet nicht, dass sein Auto geklaut wurde.«
»Vielleicht wurde einfach deshalb kein Diebstahl gemeldet, weil es gar keinen Diebstahl gab«, gab Martin zurück.
»Aber …« Ich konnte nicht fassen, welche Richtung das Gespräch plötzlich nahm.
»Du hast von dem Diebstahl erzählt und von der Leiche. Vielleicht stimmt keins von beidem, vielleicht beides. Einen Beweis
für deine Geschichte habe ich jedenfalls immer noch nicht.«
Diese ganze Diskussion bewies nur eins, nämlich dass Martin ziemlich clever war.
Den Rest der Fahrt verbrachten wir schweigend. Martin fuhr wie ein Roboter und, sofern ich das beurteilen konnte, dachte nichts.
Sein Hirn war abgeschaltet. Ich hingegen war sauer. Ich bemühte mich, meine ganze Frustrationsenergie in Martins Hirnwindungen
zu pumpen, konnte aber nicht feststellen, ob er etwas davon bemerkte. Er war wie ferngesteuert, vielleicht stand er unter
Schock.
In einer ruhigen Seitenstraße parkte er sein »Auto«, schloss
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