Kühlfach vier
sammelte Stadtpläne. Alte und aktuelle. Die alten hingen
hinter Glas an seinen Wänden. Ich wollte schon immer mal sehen, wie die Straßen in der Kölner Innenstadt vor, sagen wir, dreihundert
Jahren hießen. Ist doch superinteressant, finden Sie nicht auch?
Birgit betrachtete Köln, Nürnberg und Berlin, vielleicht lernte sie ein paar Straßennamen auswendig, damit sie gleich ein
bisschen mit Martin darüber plaudern könnte. Vielleicht wunderte sie sich aber auch über ein so schräges Hobby, ich bekam
es nicht heraus. Ich umschwirrte sie wie die berühmten Motten das Licht, konnte aber keinen Kontakt herstellen. Schade. Sehr,
sehr schade.
|78| Martin goss den Tee stilecht aus einer silbernen Teekanne in feine Porzellantässchen, die so dünn waren, dass man fast hindurchsehen
konnte. Man nahm Milch. Die Queen und ihre missratene Mischpoke hätte bestimmt ihren Spaß an diesem Spiel gefunden. Zum Glück
spreizte niemand den kleinen Finger ab, sonst hätte ich virtuell gekotzt, und ich befürchte, dass das Martins Verfassung nicht
verbessert hätte. Momentan bemerkte er mich nicht und das war sicher ganz gut so.
»Wie läuft’s in der Bank?«, fragte Martin, nachdem er sich mit ein paar Schlückchen Tee gedopt hatte.
Bank! Das hätte ich nicht von Birgit gedacht. Meine absoluten Hassfavoriten sind Banker. Die Schnösel, die von der Schule
weg eine Banklehre gemacht haben, sahen allesamt aus, als würden sie morgens eine Runde durch einen riesigen Topf mit Gleitmittel
schwimmen. Schon bevor sie die Ausbildung überhaupt angefangen hatten! Und nach ein paar Monaten waren sie völlig verblödet,
redeten nur noch von Kontokorrentkundenportfolio, Zinsertragssteuerradschraube oder akkreditivkonformer Wechselbeziehung.
Am schlimmsten sind natürlich die Könige des Bankwesens, die Wertpapiertiger. Die sind so doof, dass sie in der Mittagspause
ein Schild mit der Aufschrift »Bitte nicht stören« auf ihr Telefon stellen und sich wundern, wenn es trotzdem klingelt.
»Och, ganz gut«, sagte Birgit, die sich eigentlich wie ein normaler Mensch und nicht wie eine funktionsgestörte Rechenmaschine
benahm. »Wir haben gerade ein riesiges Geschäft mit Saudi-Arabien abzuwickeln, deshalb müssen wir alle im Moment ziemlich
viele Überstunden machen.«
|79| Wahnsinnig interessant, was die geistige Elite der Nation so auf dem Sofa herumsalbadert, wenn sie sich nach Feierabend auf
ein Tässchen Tee trifft. Kein Wunder, dass es mit der Stimmung in Deutschland nie so richtig bergauf geht. Und Kinder kommen
auf dieser intellektuellen Schwafelschiene auch nicht zur Welt.
»Was ist bei dir so los?«, fragte Birgit. Im nächsten Moment kicherte sie albern los.
Ich fand sie gleich viel netter, der Bierernst der Unterhaltung war mir schon auf den Magen geschlagen.
»Entschuldige, aber ich habe mich immer noch nicht so richtig an deinen Job gewöhnt.«
Aha, man kannte sich wohl noch nicht so lange. Wir waren noch in der heißen Anfangsphase der Beziehung. Ich wollte schon Hoffnung
schöpfen, aber dann sah ich Martin mit seinem Porzellantässchen und dem ordentlich gescheitelten Haar auf der Couch sitzen,
die Hosenbeine mit der Bügelfalte etwas hochgezogen, damit der Stoff am Knie nicht ausbeult – nee, so würde das nie was werden.
»Tja, auch bei uns gibt es viel Routine«, sagte Martin lahm. »Allerdings werde ich demnächst arbeitslos sein, wenn Dr. Eilig
seinen Gesetzesentwurf zum Verbot der Obduktion durchbekommt.«
»Ach, der«, sagte Birgit und winkte ab. »Der seltsame Heilige spinnt doch«, sagte sie. »Wenn es nach ihm ginge, dürften Frauenärzte
keine Rezepte mehr für Verhütungsmittel ausstellen, und die Schwangerschaftsabbrüche will er auch komplett verbieten, sogar
wenn das Leben der Mutter auf dem Spiel steht. Damit kommt er doch nicht durch. Zumal er unglaubwürdig ist mit seinen Mustangs |80| und Lamborghinis und den ganzen tollen Autos, die er fährt.«
»Das will ich hoffen«, sagte Martin, »ansonsten treten wir mit dem Rückfall ins dunkle Mittelalter den Beweis an, dass Einstein
mit seiner Relativität der Zeit doch recht hatte.«
Mein liebes Bisschen, da sitzen zwei Verliebte auf der Couch und statt ein bisschen zu fummeln, faseln die über Einsteins
Relativitätstheorie. Relativ war hier nur eins, nämlich der Grad des Irrsinns dieser Situation, und zwar relativ hoch.
Birgit wischte seinen Pessimismus mit einer Geste weg. »Bekommt ihr eigentlich den
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