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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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aus, als
     wollte er in Ruhe von Mann zu Mann reden. Er sah eher so aus, als wolle er mal jemandem, den er für feiger und schwächer hielt,
     so richtig in die Fresse hauen, aber diese Einschätzung behielt ich für mich.
    »Ich bin da«, sagte ich. »Bleib geschmeidig, der tut dir nichts.«
    »Haha«, entgegnete Martin. »Der will bestimmt nur spielen.«
    Ich war beeindruckt. In einer derartigen Situation noch Humor zu zeigen bewies eine gewisse Abgebrühtheit, die dem lieben
     Martin ansonsten völlig zu fehlen schien. Aber vielleicht drehte er auch nur langsam durch.
    »Wenn er dich hätte umbringen wollen, wärst du schon tot«, tröstete ich, aber Martins Hirnstrahlen beruhigten sich nicht.
     Im Gegenteil. Vielleicht hätte ich das böse Wort besser nicht aussprechen sollen.
    »Was hast du bei meiner Alten gemacht?«, fragte der Typ. Seine Stimme war so rau, dass er sicher weit vor seiner statistischen
     Lebenserwartung an Lungenkrebs krepieren würde, aber darauf konnten wir nicht warten.
    »Quatsch ihn in feinstem Medizinerlatein voll und mach ihm klar, dass du in offizieller Mission dort warst«, schlug ich vor.
     »Wenn er merkt, dass du ein Bulle bist, verpisst er sich.«
    |67| »Ich habe die Sektion an der Leiche des Sascha Lerchenberg vorgenommen und einige Fragen dabei nicht hinreichend klären können«,
     sagte Martin mit der ganzen Autorität, die er aufbringen konnte. Das war eine ganze Menge, ich war verblüfft. Die Reaktion
     der fetten Qualle war direkt und deutlich. Er stellte sich aufrecht hin, gab dadurch Martins eingezwängten Körper frei und
     trat sogar einen Schritt zurück. Martin straffte die Schultern, was in einem Dufflecoat nicht wirklich beeindruckend rüberkommt,
     und hob das Kinn.
    »Leichenmetzger ermitteln nicht«, sagte die Qualle in einem Tonfall, den ich genau kannte. Er gab sich Mühe, selbstsicher
     und überlegen zu klingen, aber der Zweifel war da. Ich konnte ihn hören. Immerhin war ich erstaunt, dass Nina sich offenbar
     den Namen und den Hinweis auf das rechtsmedizinische Institut gemerkt hatte, und die Qualle war verblüfft, dass Name und Beruf
     kein Bluff waren. Er versuchte, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen, und stieß Martin beim Sprechen dazu den
     Finger vor die Brust. Martin schlug die Hand weg.
    »Systemimmanente Sachzwänge führen in kontinuierlich steigender Frequenz dazu, dass Rechtsmediziner stärker in die Ermittlungsarbeit
     der kriminalpolizeilichen Kollegen involviert werden.«
    Ich dachte, ich höre nicht richtig. Martin operte auf der voll krassen Doktorschiene los. Geil.
    »Aber …«, sabbelte die Qualle dazwischen, wurde aber gleich wieder zugetextet von meinem rechtsmedizinischen Beistand, der
     genauso präzise parlierte, wie er schnitt.
    »Mehrfachkompetenz gehört schon lange zum akademischen Anforderungsprofil und gewinnt konstant an Relevanz |68| . Ermittlungsteams bestehen heutzutage nicht mehr aus Fachidioten. Aber wenn Sie ein Problem mit dem
Caseoriented
Knowledge-Management
haben, können Sie eine Dienstaufsichtsbeschwerde einreichen.«
    Wow! Und das produzierte der einfach so, ohne im Fremdwörterlexikon nachzuschlagen. Der Punkt ging an Martin, aber offenbar
     wusste er nicht so genau, wie er die Sache zu einem siegreichen Abschluss bringen sollte, denn noch stand die Qualle vor ihm
     und versprühte Aggression. Ich hielt erst mal die Klappe, weil ich die Situation so nicht kannte. In meiner Welt lief ein
     Streit so ab: Zwei machen sich wichtig, das sprachliche Niveau geht mit jeder Äußerung eine Stufe weiter runter und wenn es
     keine Steigerung mehr von »rattenverficktem Elefantenschwanzlutscher« gibt, kloppt man drauf. Diese Variante hier war auch
     nicht schlecht. Ich wusste bloß nicht, wie es jetzt weiterging. Qualle offenbar auch nicht, sein Kamm schwoll ab, wenn man
     es mal poetisch ausdrücken will. Damit war Martin Herr des Geschehens. Durch bloßes Rumopern! Ich glaube, in genau diesem
     Moment begann mein langsamer Lernprozess in Sachen Sprache. Immerhin war die verbale Verständigung in meiner aktuellen Daseinsform
     die Einzige, die mir noch blieb. Ich konnte niemandem das Knie ins Gemächt stoßen, keine Tussi aufgabeln und überhaupt all
     die schönen rein körperlichen Ausdrucksformen schlichtweg nicht mehr ausüben. Sprache war das Einzige, was mir blieb, und
     daher sollte ich diese Ausdrucksform dringend über die Dreihundert-Wörter-Schwelle heben, unter die ich in den letzten Jahren
    

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