Kühlfach vier
gefallen war. Okay, damals war mir das noch nicht in ganzer epischer Breite bewusst, daher also weiter im Text.
|69| Die reichlich dämlichen »Ähs« und »Hms«, die Qualle hören ließ, lasse ich jetzt mal weg, ich will Sie schließlich nicht langweilen
und sie trugen zum Fortgang der Handlung nicht viel bei.
»Du bist dran«, sagte ich irgendwann zu Martin, der noch nicht geschnallt zu haben schien, dass er hier der Chef war.
»Wir hauen ab«, dachte Martin und wollte um den Wagen herum zur Fahrerseite gehen. Das ging Qualle allerdings deutlich zu
schnell, er hatte seinen Text noch nicht abgespult. Er trat wieder einen Schritt vor.
»Wenn Sie einen suchen, der einen geilen Hass auf den Pascha hatte, dann sollten Sie sich mal an Pablo wenden«, sagte Qualle.
Immerhin hatte er zu neuer zivilisierter Form gefunden und siezte Martin.
»Den Namen hat Ihre Verlobte auch schon erwähnt«, sagte Martin, und ich schwöre bei jedem Bier, das ich je gepegelt habe,
dass er »Verlobte« sagte. »Ist das dieser Dealer?«
Eigentlich wollte er nur noch weg hier, aber irgendwie ist er ja auch sehr höflich und bricht ein Gespräch nicht mittendrin
ab. Selbst wenn er mit einem Kleinkriminellen plaudert, der eben noch gedroht hat, ihm die Schweineöhrchen abzuschneiden.
»Genau.«
»Ich denke, der sitzt im Knast«, sagte Martin.
»Nicht mehr«, sagte Qualle und fühlte sich offenbar supercool, weil er endlich mal etwas wusste, das vielleicht von Interesse
sein konnte. »Gute Führung und der ganze Scheiß. Ist draußen. Seit zwei, drei Wochen oder so.«
|70| »Danke«, sagte Martin und drängelte sich nun doch an dem Fettwanst vorbei, um in sein Auto zu steigen. Ich beeilte mich, mit
hineinzuhuschen, und schaute zurück, als Martin sich in den Verkehr einfädelte. Meine Ex hatte sich deutlich verschlechtert,
dachte ich. Eine fette Qualle, die sich von einem pummeligen Männlein im Dufflecoat kleinquatschen lässt. Peino, Mädchen,
echt voll peino.
»Du hast ihn gut zugetextet«, sagte ich und Martin verzog das Lenkrad, sodass er fast einen Radfahrer umgenietet hätte. Wäre
meiner Ansicht nach nicht schade gewesen, Radfahrer sind im Straßenverkehr so angenehm wie Pestbeulen in der Achselhöhle,
aber Martin hätte das sicher anders gesehen.
»Huch, du hier?«, stöhnte er. Und wenn ich sage, dass er das stöhnte, dann stimmt das, denn er sprach ja nicht laut, sondern
nur gedanklich, und in Gedanken kann man diesen kurzen Satz auch stöhnen. Von seiner Eloquenz war nicht viel übrig geblieben,
stellte ich fest. Vielleicht hatte er pro Tag nur ein gewisses Quantum zur Verfügung, und er hatte sich erst an den schlauen
Berichten und jetzt an dem fetten Ich-rette-die-Ehre-meiner-ehrlosen-Tussi-Typ verausgabt.
»Ich will mit solchen Typen nichts zu tun haben«, sagte Martin. »Ermittlungen anzustellen ist Sache der Polizei.«
Seine Stimme zitterte ein wenig, also war auch die Überzeugungskraft, mit der er eben Fach- und Fremdwörter zu feinen Sprachketten
verwoben hatte, durchs Klo gespült. Ich schwankte zwischen genervt sein und Mitleid haben, tendierte eigentlich völlig untypischerweise
zum Mitleid, aber gerade das konnte ich mir in meiner Situation nun |71| wirklich nicht leisten. Wenn ich ihm den Kopf tätschelte und sagte, jetzt sei alles gut und er müsse sich nicht mehr mit diesem
fiesen Abschaum unterhalten, dann würde mein Fall nie aufgeklärt werden, ein Mörder würde weiter frei herumlaufen und – weitaus
schlimmer – die Kölner Szene würde sich ewig an mich erinnern als den Bodenturner, der besoffen von der Brücke gekippt ist.
Also hart bleiben, kein Mitleid.
»Weinen ist für Weiber, deshalb fängt auch beides mit ›Wei‹ an«, sagte ich, ebenfalls wenig eloquent, aber ich fing ja auch
gerade erst an, mich sprachlich weiterzubilden. »Also benimm dich wie ein Mann und nimm die Herausforderung an.«
Große Worte, die ich aus irgendeinem Fernsehfilm hatte. Vermutlich einem Film, in dem alle Helden Cowboyhüte trugen und niemals
zu Fuß gingen, sondern immer auf einem Pferd saßen. Vielleicht aber auch ein Film, in dem ein ganz normaler Bürger von einem
Verrückten bedroht wird, deshalb zum ersten Mal im Leben die Knarre aus der Sockenschublade wühlt, in der sie liegt, seit
der Großvater sie ihm vererbt hat, und sich plötzlich zum eiskalten Killer entwickelt. Hollywood total in jedem Fall und somit
eine hervorragende Anleitung für das Verhalten
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