Kühlfach vier
Fortgang der Ermittlungen in Mordfällen
von der Polizei mit?«, fragte sie.
Martin nickte. »Meist arbeiten wir sehr eng mit der Kriminalpolizei zusammen und erfahren, wenn es Verdächtige gibt. Manchmal
müssen wir spezielle Untersuchungen machen oder Einschätzungen abgeben, um herauszufinden, ob ein bestimmter Verdächtiger
tatsächlich als Täter infrage kommt. Also genetische Spuren auswerten oder solche Dinge.«
Martin war nicht ganz bei der Sache, aber vielleicht bemerkte Birgit das gar nicht. Ich hatte noch nicht abgecheckt, wie gut
die beiden sich nun wirklich kannten, und bei Birgit wusste ich ja auch nicht, was ihr sonst so im Kopf herumging. Vielleicht
auch eher physische Liebe als die Physik der Zeit?
»Macht dir deine Arbeit eigentlich auch Spaß, oder machst du sie, weil irgendjemand sie schließlich machen muss?«, fragte
sie.
»Normalerweise macht sie mir Spaß«, murmelte Martin.
|81| »Normalerweise?«
Martin goss Tee nach und zog die Zeremonie lächerlich in die Länge.
»Ich habe gerade einen Fall, bei dem ich nicht genau weiß, wie ich mich verhalten soll«, sagte er endlich.
Ich spitzte die Ohren, gewissermaßen.
»Erzähl mal«, forderte Birgit ihn begeistert auf und rutschte etwas näher. Auch ohne ihre innersten Gedanken zu kennen, konnte
jeder Blinde sehen, dass sie einen Narren an Martin gefressen hatte. Er bräuchte vermutlich nur mit dem Finger zu schnippen
und sie würde sich auf ihn stürzen. Aber er schnippte nicht, er nippte. Am Tee. Dann ging’s weiter.
»Es gibt eine Leiche, die ich bereits am Fundort kurz in Augenschein genommen und später obduziert habe«, erklärte Martin
mit seiner Doktorenstimme. »Eigentlich gibt es keinen wirklichen Hinweis auf Fremdverschulden.« »Eigentlich …«, half Birgit
ihm auf die Sprünge. Sie bebte förmlich vor Gier nach einer spannenden Geschichte. Ich hätte mit einem bebenden Schneckchen
auf der Couch andere Dinge getan, als ihr von Leichen zu erzählen, aber jeder, wie er kann.
»Im Nachhinein habe ich ein seltsames Gefühl, dass etwas mit diesem Todesfall nicht stimmt«, murmelte Martin.
Er hatte sich eine wirklich nette Formulierung einfallen lassen, um nicht sagen zu müssen, dass die ruhelose Seele des Toten
ihm die Ohren vollsabbelte.
»Was für ein Gefühl?«, fragte Birgit.
Sie war von der Geschichte so fasziniert, dass ihre Wangen ganz rot, die Lippen leicht geöffnet waren. Sie starrte Martin
mit großen Augen an. Hätte ich noch ein paar |82| Hormönchen zur Verfügung gehabt … So konnte ich mich nur wundern, und zwar über Martin. Er quatschte sie weiter mit seiner
quengeligen Leiche voll.
»Na ja, ein Gefühl eben«, sagte er.
Natürlich war die Formulierung völlig unergiebig, aber er wollte offenbar um keinen Preis erzählen, wie die Sache wirklich
lag. »Das ist ja genau das Problem«, fuhr er schnell fort. »Ich kann nichts beweisen. Es gibt keinen Hinweis an der Leiche,
dass sie nicht von selbst fiel, sondern gestoßen wurde. Es gab offenbar keinen derartigen Hinweis am Tatort, sodass auch die
Polizei nicht weiter ermittelt. Der Fall ist abgeschlossen.«
»Nur du hast den Eindruck, dass etwas anderes dahintersteckt«, beendete Birgit die Zusammenfassung.
Martin nickte.
»Und das belastet dich.«
Wieder eine Feststellung, keine Frage.
Erneutes Nicken, Schlückchen Tee.
»Dann geh der Sache nach«, empfahl Birgit kurz und knapp.
Ich hätte sie küssen mögen. Natürlich sowieso, aber auch und besonders für diese Empfehlung.
Martin ließ den Kopf hängen.
»Aber von Amts wegen darf ich gar nichts unternehmen«, sagte Martin.
»Du darfst doch wohl ein bisschen herumfragen, solange du nicht so tust, als sei das eine offizielle Ermittlung in deiner
Eigenschaft als Rechtsmediziner im Auftrag der Staatsanwaltschaft«, entgegnete sie.
Wirklich nicht doof. Die stellte mittags kein Schild auf ihr Telefon, da war ich sicher.
|83| »Aber warum sollte ich das tun, wo es doch gar keine Beweise gibt?«, fragte Martin schon fast resigniert.
»Weil du sonst keine Ruhe findest«, sagte Birgit, und sie hatte natürlich nicht den Schimmer einer Ahnung, wie vollkommen
zutreffend ihre Einschätzung war.
Martin jedenfalls stöhnte laut auf, rief sich schnell zur Ordnung und sagte: »Nein, da hast du wohl recht. Das wird mir keine
Ruhe lassen.«
Er sagte »das«, meinte aber »der«. Und damit hatte er verdammt recht. Ich würde ihm Feuer unterm Hintern machen, bis ich
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