Kühlfach vier
Scirocco.«
Martin sagte nichts, schnaubte nur leicht durch die Nase und schien nicht wirklich beruhigt. In der Wertermittlung von Automobilen
war er offenbar schwer fehlsichtig. Immerhin parkte er ohne weitere Diskussion unter einer Straßenlaterne, schloss sorgfältig
ab und schlug für die wenigen Schritte die Kapuze hoch. Es nieselte. Ich fand es sehr befremdlich, dass ich den Regen zwar
sehen, aber nicht spüren konnte.
»Guten Abend«, sagte Martin höflich, als er die Spielhalle betrat.
Etwa sechs Augenpaare glotzten ihn ungläubig an.
»Was willste spielen?«, fragte Mehmet, der an der Kaffeemaschine stand, als Martin auf ihn zutrat.
»Ich habe eine Frage«, sagte Martin.
»Die Millionen-Frage?«, feixte Mehmet. »Gibt’s einen Publikumsjoker?«
Die Jungs am Billardtisch lachten, die Glücksspiel-Junkies an den Automaten waren schon wieder so in ihr Spiel vertieft, dass
sie nichts mitbekommen hatten.
|87| »Kannten Sie Sascha Lerchenberg?«, fragte Martin, nachdem er über Mehmets Witz gelächelt hatte.
»Wer will das wissen?«
»Ein Freund«, antwortete Martin, ich fand die Antwort genau richtig, Mehmet glotzte den Typ im Wollmäntelchen ungläubig an.
Dann verdüsterte sich seine Miene.
»Was heißt ›kannten Sie‹?«, fragte er.
»Er ist tot.«
Ich hatte angenommen, er würde jetzt sein Bedauern über meinen Tod ausdrücken, sagen, was für ein netter Typ ich gewesen sei,
und glaubte daher im ersten Moment, mich verhört zu haben, als Mehmet laut und deutlich sagte: »So ein Schwein!«
Ich war sprachlos.
»Warum sagen Sie das?«, fragte Martin, und ich musste ihn wieder bewundern. Er war in Situationen, in denen jeder normale
Mensch einfach drauflosgeprügelt hätte, so eiskalt wie ein tiefgefrorenes Fischstäbchen.
»Weil er mir Geld schuldet«, sagte Mehmet.
»Er hat seinen Tod sicher nicht absichtlich herbeigeführt, um Sie auf dem finanziellen Ausfall sitzen zu lassen«, formulierte
Martin sorgfältig, und ich bekräftigte das mit einem lauten Ja.
»Absicht oder nicht, Mann, was redest du für einen Scheiß?«, fragte Mehmet in einem Tonfall, der mir gar nicht gefiel. »Geld
ist Geld, und weg ist weg.«
»Ihnen war die Nachricht von seinem Tod noch nicht zu Ohren gekommen?«, fragte Martin, und Mehmet stutzte einen Augenblick,
bevor er geschnallt hatte, was wir von ihm wissen wollten.
»Nix habe ich gewusst«, erwiderte er.
|88| »Wir glauben ihm«, sagte ich zu Martin.
»Warum?«, fragte Martin lautlos zurück.
»Weil Mehmet stinkt wie ein orientalischer Puff ohne fließendes Wasser und ich diese Duftwolke bestimmt bemerkt hätte, wenn
er hinter mir auf der Brücke gewesen wäre.«
Martin nickte.
»Wer gibt mir jetzt das Geld?«, fragte Mehmet.
Die Jungs am Billardtisch hatten ihr Spiel mittendrin abgebrochen und lauschten der Unterhaltung. Ich versuchte Martin darauf
aufmerksam zu machen, aber er hatte den Kopf voll mit anderen Gedanken.
»Das weiß ich nicht«, sagte Martin ernsthaft. »Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, von den Angehörigen …«
»Glaubst du, ich schreibe eine Beileidskarte an die Frau Mama, erkläre ihr, dass ihr Sohn in meiner Bude illegale Spielschulden
hat, und bitte sie, mir die Kohle auf mein Sozialhilfekonto zu überweisen?«, brüllte Mehmet.
»Nein, natürlich nicht«, sagte Martin kleinlaut.
Dieses Problem hatte er natürlich nicht bedacht. In unseren Kreisen gibt man keine Kriminalobligationen aus mit festem Zins
und Bearbeitungsgebühr, und manche Schulden kann man, da sie offiziell nie gemacht wurden, nur von dem tatsächlichen Schuldner
zurückfordern.
»Tja, dann …«, sagte er.
»Lass uns gehen«, schlug ich mit Blick auf die nicht mehr spielenden Kugelschubser vor. Martin hörte mich offenbar nicht.
»Es gibt Hinweise, dass jemand bei Paschas Tod nachgeholfen hat«, sagte er. »Hätten Sie eine Idee, wer seinen Tod gewünscht
haben könnte?«
|89| »Außer mir, meinst du, Wattegesicht?«, fragte Mehmet.
»Martin«, rief ich. »Rückzug.«
»Na ja, es ist ja auch nicht sicher, dass es nicht vielleicht doch ein Unfall war«, ruderte Martin zurück. Offenbar schnallte
er langsam, dass das Thema hier ausgereizt war. »Vielen Dank für Ihre Geduld.«
Martin trat zur Seite, um nicht mit den beiden Billardspielern zusammenzustoßen, und verließ die Spielhalle.
»Wieder einer abgehakt«, sagte er. »Wenn dieser Mehmet immer das Problem mit dem Duftwassermissbrauch hat, hätten wir uns
den
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