Kühlfach vier
zu zweit.«
Eine Weile herrschte Schweigen, das nur gelegentlich von Gregors Schlürfen unterbrochen wurde. Martin trank lautlos.
»Also, was soll der Scheiß?«, fragte Gregor, als ihm das gemeinsame Schweigen auf den Sack ging.
»Ich wollte herausfinden, wer die anonyme Tote ist«, sagte Martin.
Das war natürlich wenig sachdienlich, denn genau das wusste Gregor offenbar schon, sonst stünde er wohl nicht |133| in aller goldenen Morgenstund in Martins Küche herum, sondern läge noch gemütlich in seinem warmen Bett. »Deine große Liebe
aus dem Supermarkt«, ätzte er also dann auch los. »Mensch Martin, ich meine es ernst«, schob er hinterher und sah jetzt auch
nicht mehr genervt aus, sondern wirklich sehr, sehr ernst. »Du hast sowohl dich als auch mich in eine unmögliche Situation
gebracht.«
»Woher weißt du überhaupt davon?«, fragte Martin.
»Es gibt Menschen, die sich in üblen Kreisen herumtreiben, obwohl sie selbst vielleicht gar nicht so übel sind«, sagte Gregor.
»Manche von denen geben uns ganz gern schon mal einen Tipp, wenn ihnen etwas seltsam vorkommt.«
»Der Türsteher«, rief ich.
»Der Türsteher«, sagte Martin.
»Ja, der Türsteher«, sagte Gregor.
Wenn alle morgendlichen Besprechungen in dieser Qualität ablaufen, sollte man Bürozeiten vor neun Uhr verbieten, dachte ich,
sagte aber vorsichtshalber nichts.
»Was hast du mit der Frau zu tun?«, fragte Gregor.
»Ich, ähem, also …«
So kamen wir nicht weiter. »Sag ihm die ganze Wahrheit«, schlug ich vor.
Martins Gehirnwindungen liefen langsam heiß, aber ihm fiel beim besten Willen keine auch nur halbwegs plausible Begründung
für seinen nächtlichen Ausflug in die dunkle Seite der Stadt ein. Also seufzte er einmal laut, holte Luft und legte los.
»Die Frau lag vor neun Tagen im Kofferraum eines Mercedes SLR, der an eben jenem Tag von Sascha Lerchenberg geklaut wurde.«
Gregor starrte ihn an und schüttete sich, da er nicht |134| mehr auf seine Tasse achtete, eine großzügige Menge Kaffee auf die Hose. Sein Schrei klang in meinen Ohren ein bisschen übertrieben,
aber das männliche Geschlecht soll ja sehr temperaturempfindlich sein. Martin reagierte als Mediziner sofort, sprang auf,
füllte eine auf der Spüle stehende Tasse mit kaltem Wasser und schüttete selbiges in gekonntem Schwung auf Gregors Hose. Der
schrie wieder. Dann griff er nach einem Küchenhandtuch, fummelte und rieb, verschwand kurz im Bad und kam schließlich wieder,
ohne Hose, aber mit einem umgebundenen Handtuch bekleidet. Zum Glück trug er als Kripomann ja keine Uniformjacke, sonst wären
meine Moleküle wohl von einem Lachkrampf auseinandergerissen worden. Ich hatte mich aber bald wieder im Griff, während Martin
ganz apathisch war, er grinste nicht einmal. Armes Gänschen.
»Du hast eben den Namen Sascha Lerchenberg erwähnt«, nahm Gregor den Faden wieder auf, als sei nichts geschehen. »Das ist
der Typ, der von der Brücke gefallen ist, richtig?«
»Gestoßen wurde«, sagte Martin, ohne dass ich ihn darauf hinweisen musste. Sehr gut.
»In deinem Bericht stand, dass es keinen Hinweis auf einen Stoß gab«, sagte Gregor.
»Gibt’s auch nicht«, sagte Martin. »Aber er hat es mir gesagt.«
Kurze Pause.
»Wer?«, fragte Gregor.
»Pascha.«
Längere Pause.
Gregor: »Wer ist Pascha?«
Martin: »Sascha nennt sich selbst so.«
|135| Gregor: »Und der hat’s dir erzählt?«
Martin: »Genau.«
Gregor: »Wann?«
Martin: »Kurz nach der Obduktion.«
Unangenehm lange Pause.
Gregor: »Du meinst, nachdem du seinen Körper aufgeschnitten, alle Organe entfernt, von jedem ein Stückchen eingekocht, alles
wieder in die Bauchhöhle gestopft und ihn wieder zugenäht hast?«
Martin: »Genau. Sein Geist ist nicht tot. Er findet keine Ruhe. Er schwirrt bei uns durch den Sektionstrakt.«
Ziemlich lange Pause.
Gregor: »Und er redet mit dir?«
Martin: »Genau.«
Sehr lange Pause. Martin nippte weiter seinen Kaffee in Mikroschlückchen, vermutlich, damit er noch den ganzen Vormittag daran
schlürfen konnte oder zumindest, solange dieses Verhör andauerte. Ich wartete quasi mit angehaltenem Atem auf Gregors Reaktion.
Seine Gesichtszüge ließen das Schlimmste vermuten, in seine Hirnwindungen kam ich ja zu meinem grenzenlosen Bedauern nicht
hinein. »Reden auch andere Tote mit dir?«, fragte Gregor.
Martin schüttelte den Kopf.
»Hören deine Kollegen diesen Pascha auch?«
»Nein, er kann nur zu mir Kontakt
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