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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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aufnehmen.«
    »Und er hat dir gesagt, dass du die Identität dieser Frau herausfinden sollst?«
    Martin nickte.
    »Warum?«
    Martin seufzte. »Er will, dass ich herausfinde, wer ihn gestoßen hat. Ich konnte ja schlecht in meinen Bericht  |136| schreiben, dass er mir gesagt hat, er sei gestoßen worden. Und die Verbindung zu dieser Frauenleiche im Kofferraum und all
     das, das konnte ich doch gar nicht wissen und dir also auch nichts darüber sagen, weil ich dann von ihm erzählen müsste –
     und die Geschichte glaubt mir kein Mensch, oder?«
    Zum ersten Mal sah Martin Gregor ins Gesicht. Jetzt war es Gregor, der dem Blick nicht standhielt.
    »Das dachte ich mir«, sagte Martin. »Vor zwei Wochen hätte ich’s ja selbst nicht geglaubt.«
    Die beiden schwiegen wieder eine Weile, dann ging Gregor ins Bad, kam ordentlich angezogen wieder heraus und setzte sich zu
     Martin an den Tisch.
    »Du solltest mal Urlaub machen«, sagte er zu Martin.
    Martin schüttelte den Kopf.
    »Dann nimm dir wenigstens heute frei.«
    »Heute Vormittag habe ich frei«, sagte Martin. »Nachmittags habe ich Dienst.«
    Gregor stand auf, erklärte Martin mit einer ziemlich offiziellen Stimme, dass er die Ermittlungen in Sachen der unbekannten
     Toten bitte zu unterlassen habe, da seine Einmischung die Arbeit der Kriminalpolizei störte, verabschiedete sich mit seiner
     Freundesstimme und ging. Martin sah auf die Uhr, fuhr sich mit den Fingern durch das noch etwas feuchte Haar und stand auf.
    »Wir müssen los«, sagte er.
    »Wohin?«, fragte ich.
    »Zu deiner Beerdigung.«

|137| FÜNF
    Nun war der Zeitpunkt also gekommen, vor dem ich schon die ganze Zeit heimlich Bammel gehabt hatte. Meine Beerdigung. Natürlich
     hatte ich nicht damit gerechnet, daran teilzunehmen. Also, das heißt, irgendwie natürlich schon. Mein Körper jedenfalls, der
     war ja die Hauptattraktion. Aber dass ich, also mein eigenes Bewusstsein, mir dabei zusehen würde, darüber hatte ich jeden
     Gedanken erfolgreich verdrängt. Mit Verdrängen war jetzt Schluss.
    »Müssen wir dahin?«, fragte ich Martin.
    »Ja«, erwiderte er.
    Warum war er nur so kurz angebunden? Heute, in der schwersten Stunde meines Lebens, in der wir mich unter die Erde brachten?
     Ich brauchte Zuwendung und Martin war zickig.
    »Ich will aber nicht«, sagte ich.
    »Dann bringe ich dich zum Institut«, sagte er.
    Ha, das hatte er sich so gedacht! Meine Leiche wird weggeschafft, mein Kühlfach neu vergeben und der glaubt allen Ernstes,
     er könne mich in den hässlichen Betonklotz abschieben?
    |138| »Was soll ich da?«, fragte ich.
    Jetzt hatte ich ihn. Martin erstarrte mitten in der Bewegung. Seine Finger, die die Schnürsenkel zusammenbinden wollten, begannen
     zu zittern. Tja, lieber Martin, so weit hattest du wohl nicht gedacht. Meine einzige Bezugsperson auf der großen, weiten Welt
     bist DU! Ich konnte die Panik, mich nie wieder loszuwerden, durch sein Hirn schießen sehen. Sein bester Freund hielt ihn jetzt
     schon für überarbeitet – bestenfalls. Jedenfalls glaubte er ihm kein einziges Wort, das war wohl eben sehr klar geworden.
     Andere Menschen, wie zum Beispiel Kollegen und Vorgesetzte, würden mit ihrer Beurteilung seiner geistigen Gesundheit sicher
     nicht so zaghaft sein. Verrückt, würden sie sagen, und Martin, das konnte ich in diesem Moment in aller Klarheit spüren, rechnete
     fest damit, dass er tatsächlich verrückt würde, wenn ich ständig in seinem Kopf herumspukte.
    »Ich denke, dass du mitkommen solltest«, sagte er mit nicht ganz fester Stimme. »Vielleicht ist es gut für dich, wenn du deine
     Eltern noch einmal siehst.«
    Jetzt war ich derjenige, der schockiert war. Meine Eltern. Oh Mann.
    Wir schwiegen.
    Vielleicht war das seine Idee. Dass ich mich an meine Eltern hänge, ihn in Ruhe lasse und wieder zu Hause einziehe. In mein
     altes Jugendzimmer mit den Postern von Ferrari und Pamela Anderson an der Wand. Aber wahrscheinlich gab es das Zimmer gar
     nicht mehr, vermutlich hatte mein Vater es als zusätzliches Arbeitszimmer oder meine Mutter als Ankleidezimmer belegt. Wie
     dem auch immer sei, ich würde zu meiner Beerdigung wohl mitgehen |139| , denn ich wusste ganz genau, dass ich ansonsten nächtelang darüber nachgrübeln würde, wie es wohl gewesen war. Wie meine
     Eltern ausgesehen hatten. Wie mein Sarg aussah und ob mir der Grabplatz gefiel. Ich schlüpfte hinter Martin durch die Wohnungstür,
     stieg mit ihm in seine Ente und schwieg genau wie er. Man

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