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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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meine
     ganzen Gedankengänge von vorhin registriert hatte, was mir jetzt ein bisschen peinlich war.
    »Ja, Künstler. So hat er ihn genannt«, bekräftigte Martin zögernd, so als müsse er in seinem Gedächtnis überprüfen, dass er
     die richtige Information zum richtigen Namen sortiert hatte.
    Miriam bracht in lautes Heulen aus.
    »Er hat ihn immer nur verarscht«, schluchzte sie. »Wegen seinem Sprachfehler.«
    GENITIV, brüllte es in Martins Hirn, aber er hielt sich zurück.
    Nix verarschen, schrie es in mir, aber auch ich hielt die Klappe.
    »Das war bestimmt nur Neckerei«, schlug Martin vor, aber sein Tonfall drückte seine Zweifel genauso deutlich aus wie sein
     Gesicht.
    »Hast du ihn verarscht?«, fragte er mich streng.
    »Im normalen Rahmen«, sagte ich.
    »Also ja«, stellte er fest. Enttäuscht, wie ich bemerkte. »Ich glaube, du warst schon zu Lebzeiten ein ganz schönes Arschloch,
     was?«
    Dieses Wort in Martins Gehirnwindungen und noch dazu an meinem offenen Grab kostete mich beinahe meine ganze Beherrschung.
     Nur Miriams Gegenwart rettete mich – und Martin.
    |151| »Frag sie endlich, warum sie hier ist«, sagte ich.
    Miriam kam ihm zuvor. »Ich hab ihn trotzdem gemocht«, flüsterte sie.
    »Oh«, sagte Martin. »Das tut mir leid.«
    Und genauso meinte er es auch, dieses Sackgesicht. Dass es ihm leid tat, dass sie so ein Arschloch gemocht hatte. Wenn das
     hier mein einziger Freund auf dieser Erde war, dann zog ich es vor, keine Freunde mehr zu haben. Gar keine. Besser als solche.
    »Er konnte auch witzig sein«, murmelte sie.
    »Siehste«, sagte ich.
    »Und irgendwie war er auch ein Loser, ziemlich süß irgendwie«, sagte sie.
    »Ich war kein Loser«, brüllte ich.
    »Ja«, sagte Martin voller Inbrunst. »Er war wirklich ein Loser.«
    »Verräter«, schrie ich.
    »Aber süß«, wiederholte Miriam.
    »Kann ich Sie irgendwohin bringen?«, fragte Martin.
    Jetzt machte der sich an die Schnecke ran, das durfte ja wohl gar nicht wahr sein! Ich war sauer, wütend, rasend. Ich war
     so was von angepisst. Ich …
    Okay, ich gab der Wahrheit die Ehre: Ich war sauer auf mich selbst. Jahrelang hatte ich mir irgendwelche nichtsnutzigen Schlampen
     ins Bett geholt, Hauptsache, sie hatten Riesenhupen und machten den Tankstutzen auf, wenn das Rohr kam. Derweil hatte ein
     eher unscheinbares, aber zweifellos sehr liebes Mädchen wie Miriam Gefallen an mir gefunden, und ich hatte nix geriffelt.
     Und selbst wenn, hätte ich sie vermutlich schmutzig lächelnd abblitzen lassen, denn ihre Oberweite genügte meinen Wertmaßstäben |152| bei Weitem nicht. Und worauf sonst kam es bei Weibern schon an?
    Ich fand mich plötzlich selbst zum Kotzen. Echt. Ich stand hier an meinem eigenen Grab und fragte mich, an wie viel Scheiße
     in meinem Leben ich eigentlich selbst die Schuld trug. Diese Gedanken sind sicher schon zu Lebzeiten nicht wirklich erheiternd,
     aber wenn man sich diese Frage rechtzeitig stellt, kann man ja noch etwas ändern. Ein besserer Mensch werden. In meinem Fall
     galt: Zu spät! Jede Einsicht, wie schlau sie auch sein mochte, konnte mir nicht mehr helfen.
    Meine Hirnströme gingen definitiv in die falsche Richtung, denn ich wollte nicht schon wieder sentimental werden, wie die
     alten Frauen, die Gräber harken und dieses hässliche, lilafarbene Kraut darauf pflanzen, das aussieht, als wäre es das einzige
     Gewächs, das es geschafft hat, einen Atomkrieg zu überleben. Ich verbannte also alle derartigen Gedanken aus meinem Geist
     und sauste hinter Martin und Miriam her, die noch einmal an mein Grab traten, einen kurzen Moment auf den schicken, schwarzen
     Sarg starrten und dann Richtung Ausgang gingen. In dem Moment sahen wir ihn.
    Meine Beerdigung entwickelte sich zu einer Art Klassentreffen. Dieser Gast hier war allerdings weder eingeladen und noch willkommen.
     Miriam sah ihn zur gleichen Zeit wie ich und sie flüsterte »Oh, Scheiße«, obwohl sie solche Worte sonst nicht in den Mund
     nimmt.
    Pablo. Schmierig wie eh und je, die schwarzen, mittellangen Kräusellocken mit irgendeinem glibberigen Schleim an die Birne
     geklebt, Aknenarben im ganzen Gesicht und sieben oder inzwischen vielleicht auch mehr goldene Ringe |153| im linken Ohr. Irgendjemand hat mal in stark alkoholisiertem Zustand vorgeschlagen, ihm auch noch einen Ring durch die Nase
     zu ziehen. Vierundzwanzig Stunden später wachte dieser Jemand nach einigen festen Schlägen auf den Hinterkopf wieder auf und
     stellte fest, dass er

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