Kühlfach vier
nicht
aufzuweichen, und ging ins Bett. Na toll. Ich war mal wieder mit den Stadtplänen allein, aber statt mittelalterliche Straßennamen
auswendig zu lernen, überlegte ich, ob ich Pablo glauben sollte oder nicht. Ich konnte mich nicht recht entscheiden. Ich würde
ihm einen Mord auf jeden Fall zutrauen und es wäre vermutlich nicht sein erster gewesen. Man munkelte, dass er einen Typen
kaltgemacht hatte, weil der ihn »schwule Sau« genannt hatte. Mag was dran gewesen sein. Aber kein Mensch, der ein Hirn größer
als ein Kaninchenköttel hat, wird so doof sein, unbedingt die Wahrheit herausfinden zu wollen.
|159| So kam ich nicht weiter, die ganze Grübelei führte zu nichts und sie lag mir auch nicht. Wenn ich noch einen Körper gehabt
hätte, hätte ich mich an so einem Tag vor die Glotze geknallt, mir ein Bier nach dem anderen reingezogen und wäre irgendwann
selig ins Koma gefallen. Hätte ich damals, also zu Lebzeiten, allerdings gewusst, wie wenig Zeit mir auf der Erde noch bleiben
würde, hätte ich dieses Tagesprogramm vielleicht etwas seltener abgespult. Jetzt hingegen hatte ich Zeit bis in alle Ewigkeit,
aber weder Glotze noch Bier.
Ich überlegte gerade, ob ich Martin wecken sollte, damit er mir die Flimmerkiste anmacht, als das Telefon klingelte. Erstaunt
stellte ich fest, dass es inzwischen dunkel geworden war, die Uhr zeigte schon halb acht. Martin pennte immer noch. Das Telefon
klingelte weiter. Nach dem zwölften Klingeln brach es ab, fing aber sofort wieder an. Martin erschien in der Schlafzimmertür,
tastete sich zum Telefon und murmelte: »Ja?«
»Martin?«, fragte eine Stimme, die wir beide erst nach einem Augenblick Nachdenken als die von Birgit erkannten.
»Ja?«, murmelte Martin wieder. »Wie spät ist es?«
Birgit heulte los.
»Mein Auto ist weg«, schluchzte sie schwer verständlich.
»Wie ›weg‹?«, fragte Martin.
»Geklaut«, schniefte Birgit und heulte lauter.
»Warst du schon bei der Polizei?«, fragte Martin.
»Jahahaha«, schluchzte sie. »Aber die haben keine große Hoffnung …«
»Nun sei doch nicht so traurig«, sagte Martin mit samtweicher |160| Stimme, in der man noch die kuschelige Bettdecke hören konnte, aus der er sich gerade herausgeschält hatte. »Dann kaufst du
dir …«
»Uhuhuhu«, drang es aus dem Hörer. »… kein Geld … noch nicht versichert … so etwas nie wieder«, konnten wir verstehen.
»Das Auto war nicht versichert?«, fragte Martin nach.
»Neeeiiiiin!«
Martin zerschmolz förmlich in Mitleid für die Tussi, die sich eine geile Karre angeschafft hatte und dann zu blöd gewesen
war, das Ding auch zu versichern. Der Mann hat ein großes Herz, dachte ich mir. Ich hätte dem Schneckchen erst mal den Kopf
gewaschen. Nicht so Martin. Er sagte:
»Ach Birgit, nun sei doch nicht so traurig. Vielleicht wird es ja gefunden, dein Auto. Der Wagen ist doch ziemlich auffällig.«
»Aber«, schnief, schnief, »die Polizei hat gesagt, dass das bestimmt eine organisierte Bande war, die klauen solche Klassiker
auf Bestellung, und dann ist der Wagen heute Nacht schon außer Landes.«
In dem Moment, in dem sie »organisierte Bande« sagte, ging ein Ruck durch Martin. Seine Gehirnzellen standen stramm, er richtete
sich in seinem flauschigen Frotteeschlafanzug auf, streckte den Rücken durch und sagte: »Vielleicht kann man da ja doch noch
etwas machen.«
In seinem Hirn entrollte sich ein Banner, so groß wie eins dieser Bettlaken, die Fußballfans im Stadion für ihre Lieblingsspieler
hochhalten. Auf Martins Banner stand allerdings: »Jetzt kannst du mal was für mich tun!«.
Und damit meinte er mich.
|161| Und noch ein ganz bestimmter Name ploppte in Martins Gedanken auf, versehen mit hundert Ausrufezeichen: Olli!
Sie erinnern sich: Olli ist der Typ, für den ich den SLR geklaut hatte, in dem dann die Leiche … na, Sie kennen die Geschichte.
Natürlich gab es keine Garantie dafür, dass Olli irgendwas mit dem geklauten Schlitten von Birgit zu tun hatte, aber die Chancen
standen hundert zu eins.
Ich hörte Martins sanftem Gemurmel in den Telefonhörer gar nicht mehr zu, sondern überlegte, wie wir am besten vorzugehen
hätten.
»Sag ihr, wir brauchen die Autonummer, die Fahrgestellnummer und die Autoschlüssel«, sagte ich Martin schnell, kurz bevor
er auflegen konnte. Birgit versprach, alles zurechtzulegen.
»Dann mal los.«
Martin sah schauderhaft aus. Auch unter dem nicht verfärbten Auge hatte er
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