Kühlfach vier
derjenige mit dem Ring durch die Nase war. Seitdem hat niemand mehr Witze über den hässlichsten Stier
nördlich der Pyrenäen gemacht.
Pablo war nun hier auf dem Friedhof. Der Pablo, der mir zwei Jahre lang gewisse Substanzen verkauft hatte, die einer Handelsbeschränkung
basierend auf dem Betäubungsmittelgesetz unterlagen. Der Pablo, der der festen Überzeugung war, dass ich ihn in den Knast
gebracht hatte. Der Pablo, von dem bereits mehrere befragte Personen angenommen hatten, dass er derjenige war, der mich in
den Tod gestoßen hatte.
Dieses Gerücht hatte offenbar auch Miriam schon gehört, denn sie ging wie eine Furie auf ihn los.
»Du wagst es, hier aufzutauchen?«, schrie sie, während sie mit langen Schritten auf ihn zuging. »Konntest du dich nicht schon
auf der Brücke davon überzeugen, dass er tot ist?«
Pablo stand weiter an den Baum gelehnt und tat so, als könne er sie nicht hören.
»Wer ist das?«, fragte mich Martin und ich setzte ihn schnell ins Bild. Er war alles andere als begeistert.
Inzwischen hatte Miriam Pablo erreicht. Sie blieb auf Armeslänge vor ihm stehen, stützte die Hände in die Seiten und funkelte
ihn an. Gottes Racheengel in Turnschuhen! »Wie pervers bist du eigentlich, dass du dich auch noch auf seiner Beerdigung sehen
lässt?«, fragte sie.
|154| »Ich will sicher sein, dass er tot ist«, entgegnete Pablo ruhig. Er hat übrigens keinen Akzent und wenn doch, dann eher aus
Bottrop, nicht aus Barcelona. »Ich habe ihn nämlich nicht gekillt.«
»Ach, und das soll ich dir glauben?«, fauchte Miriam. »Die halbe Stadt weiß, dass du es warst.«
»Die halbe Stadt erzählt, dass ich es war, damit keiner merkt, dass sie es waren«, sagte Pablo. »Ich jedenfalls hätte ihm
nicht einfach das Genick gebrochen.«
Martin, der in einigen Schritten Abstand stehen geblieben war, zuckte zusammen. Willkommen im echten Leben, Kumpel.
Miriam und Pablo lieferten sich ihren Schlagabtausch, wobei Miriam sich ganz gut hielt, wie ich fand. Überhaupt fand ich sie
plötzlich sehr attraktiv und mutig und so. Diese Verzückung hielt mich eine Weile so gefangen, dass mir eine wichtige Tatsache
nicht auffiel. Der Ort der Handlung hatte sich kaum merklich verlagert. Pablo machte das sehr geschickt, aber als Dealer verbotener
Drogen musste man natürlich auch verdammt vorsichtig sein. Da hatte man ein Auge für dunkle Winkel, die von den Plätzen, an
denen sich weitere Personen aufhielten, üblicherweise nicht eingesehen werden konnten. In so einen dunklen Winkel hatte er
sich zurückgezogen, indem er einfach immer wieder den einen oder anderen kleinen Schritt gemacht hatte und Miriam und Martin
waren ihm gefolgt wie die Ratten dem Flötenspieler. Bevor ich Martin warnen konnte, passierte es. Pablo griff Miriam ins Haar,
er zog sie zwei Schritte mit sich in ein Gebüsch und dann hörten wir, wie eine flache Hand in ein Gesicht schlägt.
»Hey«, rief Martin, machte einen halben Schritt nach |155| vorne, stoppte wieder, murmelte »Scheiße, das darf doch nicht wahr sein« und stürmte voran. Wie es um seine Gemütsverfassung
bestellt war, muss ich nicht weiter kommentieren, immerhin hat er das böse Wort mit Sch in den Mund genommen. Und mit dieser
kurz und prägnant formulierten Einschätzung der Sachlage hatte er vollkommen recht.
Pablo hatte Miriam zwei Ohrfeigen verpasst, die ihre Wangen zum Glühen gebracht hatten, daraufhin hatte sie versucht, einen
heftigen Tritt in seine liebsten Anhänger zu platzieren. Er hatte sich weggedreht, ihren Fuß zu fassen bekommen und sie mit
einem einfachen Hebel umgeworfen. Er kniete auf ihren Beinen, als Martin am Schauplatz ankam.
Martin hat vermutlich nie ›Stirb langsam‹ gesehen. Auch nicht ›Terminator‹, ›Triple X‹ oder die anderen Action-Kracher aus
Hollywood, in denen es mehr Tote als Regieassistenten gibt. Allerhöchstens hat er mal einen James-Bond-Film gesehen, aber
dann sicher auch nur einen mit den älteren Gentlemen wie Sean Connery oder Roger Moore. Das war sein Handicap. Denn er versuchte
es mit Reden, wo selbst jeder Zuschauer mit mehr als zwölf Dioptrien erkennen kann, dass man jetzt und in diesem Moment nur
noch mit nackter Gewalt weiterkommt. Er hatte den Mund kaum aufgemacht, als schon Pablos Faust auf seinen Wangenknochen krachte.
Es splitterte nichts. Das ist nicht so wie im Film, dass gleich der ganze Kiefer bricht und so Zeug. Dafür ist aber eine andere
Reaktion völlig
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