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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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normal, die im Kino immer total falsch dargestellt wird. Wer einen echten Schwinger auf den Wangenknochen
     bekommt, der fliegt in den Dreck. |156| Und da bleibt er in den meisten Fällen erst mal schön liegen. So auch Martin.
    Inzwischen hatte Miriam ihre Fingernägel in Pablos hässliche Fratze geschlagen und ihm mehrere schöne, lange Striemen gekratzt.
     Als er sich ihr wieder zuwandte, boxte sie ihm mit der rechten Faust in die Weichteile. Frauen können nämlich nicht nur dahin
     treten, wo es wehtut, sie können auch dahin schlagen. Damit hatte Pablo nicht gerechnet. Er hockte noch auf ihren Beinen,
     aber nach dem Schlag an die berühmte Stelle wurde er kalkweiß im Gesicht und sackte langsam zur Seite. Martin rappelte sich
     auf, Miriam zog hektisch ihre Beine zu sich heran, rollte sich herum und stand auf beiden Füßen, bevor wir anderen noch richtig
     sehen konnten, wie sie das gemacht hatte. Sie zog Martin an seiner Kapuze aus der Reichweite von Pablos Beinen, aber sie war
     nicht schnell genug. Pablos Absatz erwischte Martins Schienbein, er heulte auf, fiel aber nicht wieder hin, sondern humpelte,
     so schnell er konnte, hinter Miriam her.
    Ich hatte dem ganzen Elend tatenlos zusehen müssen und hatte eine Scheißwut im Bauch. Aber ich konnte sie an niemandem auslassen.
     Wie gern hätte ich Pablo einen Tritt verpasst. Egal wohin. Aber nein, ich arme Sau konnte meine Aggression in keiner Weise
     abreagieren. Da hatten die anderen es doch echt besser!
    Nur wussten die das gar nicht zu schätzen. Zumindest Martin nicht. Er stöhnte leise, hielt sich mit der einen Hand die Wange
     und versuchte, sich mit der anderen das Schienbein zu halten, was aber natürlich nicht ging, da er ja lief. Miriam hielt immer
     noch seinen Dufflecoat fest und zog ihn zügig zum Ausgang.
    |157| »Was war das?«, fragte Martin wenig eloquent.
    »Das war Pablo«, sagte Miriam. In ihren Augen standen Tränen. »Er ist ein Arschloch allererster Güte.«
    »Sag bloß«, nuschelte Martin, während er mit der Zunge im Mund herumfuhrwerkte, um eventuelle innere Schäden festzustellen.
    »Wir fahren zur Polizei«, sagte Martin, nachdem seine Suche erfolglos geblieben war.
    »Keinesfalls«, sagte Miriam. »Im Moment sind wir quitt. Wenn wir zur Polizei gehen, wird er sich übel an uns rächen.«
    »Quitt?«, fragte Martin ungläubig.
    »Ja, quitt«, sagte Miriam. »Und dabei bleibt es.«
     
    Martin brachte Miriam nach Hause und fuhr ins rechtsmedizinische Institut. Es gab einen mittleren Aufruhr unter den Kollegen,
     als er dort mit verdreckter Jacke, zerrissener Hose und deutlichen Prügelspuren im Gesicht ankam. Der herbeigeeilte Chef wollte
     wissen, was passiert sei, Martin log sich irgendeine wilde Geschichte von einer Verwechslung zusammen, die mit bestürzten
     Ausrufen und gelegentlichem Stirnrunzeln quittiert wurde, dann ließ er sich von Katrin verarzten und fügte sich dem Chef,
     der ihn nach Hause schickte. Die Blicke, mit denen die Kollegen und der Vorgesetzte seinen Abgang verfolgten, sprachen Bände.
     Ich jedenfalls hatte den Eindruck, dass sie ihm seine Geschichte von Anfang an nicht abgenommen hatten und sich nun auch an
     die eine oder andere seltsame, um nicht zu sagen beunruhigende Verhaltensweise der letzten Tage erinnerten. Zum Beispiel an
     den Ausraster bei meiner Obduktion, die »Selbstgespräche« in der Teeküche |158| , die geistige Abwesenheit, die oft von heftigem Kopfschütteln begleitet wurde, die häufigen Besuche ohne ersichtlichen Grund
     im Sektionstrakt oder einfach die allgemeine Nervosität und Gereiztheit, die für Martin eigentlich unüblich war. Martin bemerkte
     die Blicke nicht, und das war im Moment sicher ganz gut.
    Der verpflasterte Martin fuhr mit der verpflasterten Ente zur Werkstatt, ließ die Scheibe erneuern, saß währenddessen auf
     einem der beiden Wartestühlchen und hielt sich an einem Pappbecher mit übel riechendem Kaffee fest, den die nette Maus von
     der Reparaturannahme ihm gebracht hatte. So saß er fast zwei Stunden regungslos wie eine ägyptische Statue bis auf die gelegentlichen
     Bewegungen des linken Arms, der hin und wieder den Becher zum Mund führte. Der Bluterguss auf der Wange hatte sich zu einem
     leuchtend rot-violetten Engelsbäckchen entwickelt und die dünne Haut unter dem Auge zeigte einen ähnlichen Farbton. Er sah
     gruselig aus.
    Nachdem die Ente endlich repariert war, fuhr Martin nach Hause, duschte vorsichtig, um die Abschürfung am Schienbein

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