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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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Schulter zurück.
    »Das Headset hatte keine Verbindung und ich war wegen einer anderen Sache genervt und furchtbar in Eile, |195| deshalb habe ich schnell das alte wieder eingestöpselt«, brachte Martin ein bisschen außer Atem hervor. »Ist ja schon gut,
     du kannst arbeiten, wie und womit du willst«, sagte Birgit. Ihr Tonfall war eindeutig zickig. Hätte ich gar nicht von ihr
     erwartet, aber auch sie hatte offenbar eine Schmerzgrenze, die nun überschritten war.
    Sie erreichten das Erdgeschoss kurz nacheinander, Birgit trat durch die Glastür in die Halle, ließ die Tür hinter sich zufallen,
     Martin riss daran, als wolle er sie gleich vollständig entsorgen.
    Links von uns machte der Aufzug »pling«.
    »Da ist der Typ wieder«, schrie ich in höchster Aufregung.
    »Was zum Teufel ist denn jetzt schon wieder los?«, brüllte Martin lauthals.
    Birgit fuhr herum und starrte ihn in fassungslosem Entsetzen an.
    »Ich meinte … äh, nicht dich …«, stammelte Martin.
    Der Typ aus dem Aufzug durchquerte die Halle und verließ das Gebäude.
    »Ich gehe mal lieber«, sagte Birgit. »Und ich bin mir nicht sicher, ob ich dich noch mal wiedersehen will.«
    Martin stand da wie vom Donner gerührt und blickte ihr hinterher, als sie ging.
    »Der, der eben schon auf dem Flur war. Der jetzt gerade rausgegangen ist. Den habe ich schon mal gesehen«, rief ich wieder.
    »Verpiss dich«, dachte Martin.
    »Ich kann mich aber nicht mehr erinnern, wann und wo ich ihn gesehen habe. Aber es ist bestimmt …« Wichtig, hatte ich sagen
     wollen, wurde aber unterbrochen.
    |196| »Ver-piss dich«, wiederholte Martin deutlicher, als hätte ich ihn eben nicht richtig verstanden.
    »Geh doch bitte mal am Empfang fragen, wer das war und was er hier wollte«, sagte ich.
    »Leck mich am Arsch«, entgegnete Martin, während er sich umwandte. Langsam und kraftlos stieg er die Treppe bis zu seinem
     Büro hoch, diktierte weiter an dem Bericht, war aber so unkonzentriert, dass er nach einer halben Stunde seinen Kram zusammenpackte
     und nach Hause fuhr. Ich ließ ihn allein.

|197| ACHT
    Ich verbrachte einen beschissenen Nachmittag und eine sterbenslangweilige Nacht. Ich durchlitt eine Phase unendlichen Selbstmitleids,
     die ihren Höhepunkt in der dunkelsten Stunde der Nacht so gegen fünf Uhr hatte. Aber wenn ich aus meiner seltsam untoten Existenz
     überhaupt je erlöst werden sollte, dann musste der Mord an mir aufgeklärt werden, in dieser Sache war ich mir ganz sicher.
     Also musste ich meinen Groll, meine persönlichen Enttäuschungen und mein Selbstmitleid herunterschlucken und Martin dazu bringen,
     dass er weiterermittelte. Diese Hoffnung schien mir nach den katastrophalen Ereignissen des gestrigen Tages sehr gering zu
     sein, aber wenigstens versuchen musste ich es. Ich erwartete ihn also äußerst ungeduldig im Institut.
    Sein Anblick schockierte mich zutiefst und hätte mich eigentlich bereits auf das vorbereiten müssen, was der Tag noch an Gemeinheiten
     für uns vorgesehen hatte, aber ich war wohl nicht so ganz bei der Sache. Das mochte damit zusammenhängen, dass kurz vor Martins
     Ankunft eine neue Leiche eingeliefert worden war.
    |198| Normalerweise ist es so, dass der Transportsarg in die Sektionsabteilung gebracht wird, dann packen zwei Helfer die Leiche,
     sagen »eins, zwei, drei und rüber« und hieven den toten Körper auf eine dieser Edelstahlflächen des Instituts.
    Nicht so in diesem Fall. Der Transportsarg kam und ich hielt mich wie immer etwas abseits, da es mich auch jetzt noch deprimierte,
     in die toten Gesichter dieser toten Leute zu sehen. Die Helfer also öffneten den Sarg, stutzten und einigten sich auf die
     Reihenfolge: »zuerst oben«. Sie zählten gar nicht laut, sondern sagten nur »Hau ruck«, und schwupps war der Oberkörper bis
     zum untersten Rippenbogen samt Kopf und Armen ordentlich umgeladen. Die Hüfte mit dem rechten Bein kam als nächstes, das linke
     Bein zum Schluss.
    Natürlich ist es der Leiche egal, in wie vielen Einzelteilen man sie hier anliefert, aber mich machte dieser Anblick betroffen,
     und deshalb blickte ich der Leiche auch erst viel später ins Gesicht. Sonst wäre ich vermutlich schon völlig aufgelöst gewesen,
     als Martin endlich ankam.
    Auch er sah einfach scheiße aus, das kann man nicht anders sagen. Gerötete Augen, der Bluterguss auf der Wange schillerte
     inzwischen in diversen dunkleren Violett- und grünlichen Gelbtönen und er war zum ersten Mal, seit ich ihn

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