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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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hinterher, warf den Kittel in die Wäschetonne, schrubbte sich die Hände und
     ging zurück zu seinem Chef.
    »Was ist nur los mit Ihnen?«, fragte der Chef.
    »Der Tote, der da unten liegt, war gestern hier im Haus«, sagte Martin mit wieder einigermaßen fester Stimme. »Ich wollte
     wissen, was er hier wollte und wer er ist.«
    »Dafür unterbricht man keine Obduktion«, sagte der Chef streng, wie Chefs eben so sein können, wenn ihr Mitarbeiter Mist baut.
    »Außerdem gibt es eine Verbindung zu einem anderen Mordfall«, fügte Martin trotzig hinzu.
    »Zu welchem?«
    »Sascha Lerchenberg.«
    »Wenn ich mich richtig erinnere, war das kein Mord«, sagte der Chef.
    |205| »Doch. Sascha ist gestoßen worden«, erklärte Martin. »Und er hat kurz vor seinem Tod und vielleicht sogar danach diesen Mann
     gesehen, der jetzt da unten auf dem Tisch liegt.«
    »Was heißt: und vielleicht danach?«, wiederholte der Chef.
    Martin bemerkte seinen Fehler. »Na ja, Sie wissen schon«, murmelte er. »Wenn einer stirbt und der Geist über dem Körper schwebt
     …«
    Der Chef nickte. »Sie beziehen sich auf die Berichte über Nahtoderfahrungen«, stellte er fest.
    Martin nickte.
    »Aber diese Leute sind dann nicht wirklich tot«, sagte der Chef. »Sie waren an der Schwelle zum Tod, aber sie kommen zurück
     ins Leben und können hinterher darüber berichten.«
    Martin nickte.
    »Lerchenberg ist aber tot, oder nicht?«
    Martin nickte wieder, wenn auch nicht mehr ganz so überzeugend.
    »Wann könnte er also eine derartige Aussage gemacht haben?«, fragte der Chef. Er formulierte seine Fragen sehr vorsichtig.
    Ich konnte den Widerstreit der Gefühle in Martin spüren. Er wusste, dass er seinem Chef die Sache nicht so erklären durfte,
     wie sie wirklich war, und er suchte nach einer Erklärung, die der Chef akzeptieren würde, fand aber keine. Sein Geist war
     erschöpft, am Ende, er hatte keine Kreativität mehr, irgendetwas zu erfinden. Er kapitulierte.
    »Es ist ihm eben erst wieder eingefallen«, sagte Martin. »Als er die Leiche auf dem Obduktionstisch gesehen hat.«
    |206| »Über wen reden wir?«, fragte der Chef.
    »Sascha Lerchenberg«, murmelte Martin. »Er selbst nennt sich übrigens Pascha. Sein Körper ist zwar tot, aber sein Geist schwirrt
     hier im Institut herum.«
    Eine ziemlich lange Zeit war es mucksmäuschenstill im Zimmer.
    »Ich genehmige Ihnen hiermit einen Urlaub, den Sie jetzt beantragen. Und zwar mindestens bis zum Ende dieser Woche.«
    »Aber …« Martins Einwand kam nur schwach.
    »Kein Aber«, stellte der Chef klar. »Wenn Sie am Montag Verlängerung wollen, bekommen Sie die auch genehmigt. Aber unter der
     Bedingung, dass Sie den psychologischen Dienst aufsuchen.«
    Martin nickte.
    »Ich mache den Urlaubsschein fertig. Kommen Sie gleich, wenn Sie nach Hause gehen, bitte noch mal hier vorbei und unterschreiben
     ihn«, sagte der Chef und stand auf. Er schlug Martin auf die Schulter. »Erholen Sie sich mal ein bisschen«, sagte er in freundlichem
     aber besorgtem Tonfall. »Schlafen Sie sich aus, gehen Sie spazieren, laden Sie jemanden zum Essen ein.«
    Martin nickte.
    »Und bitte holen Sie nur noch die wichtigsten Sachen aus Ihrem Büro.«
    Wir schlichen zurück an Martins Schreibtisch. Martin ließ sich auf seinen Stuhl fallen, setzte das kabellose Headset auf und
     starrte kurz vor sich hin. Dann verfiel er in hektische Betriebsamkeit, weckte seinen Computer mit einem gesprochenen Befehl
     auf, rief die hausinterne Datenbank auf und druckte das Foto des toten Mannes aus, das er zu |207| Beginn der Obduktion gemacht und – in Ermangelung eines Namens – gleich ordentlich unter der Kennnummer sowie Datum und Uhrzeit
     archiviert hatte. Dann rief er das Diktierprogramm auf. Doch bevor er loslabern konnte, platzte Katrin herein: »Hast du schon
     gehört? Der gut aussehende Typ von gestern, der die Leiche seiner Schwester in die Heimat überführen wollte, ist heute selbst
     tot. Vom Zug überrollt.«
    Martin sah sie an, als wache er gerade erst auf.
    »Seine Schwester?«, fragte er.
    »Ja, die anonyme Leiche, die an dem allergischen Schock gestorben ist«, sagte Katrin. Sie sprach, wie man mit einem Kind spricht,
     das schwer von Begriff ist.
    »Wie heißt der Mann?«, fragte Martin.
    »Sjubek Laringosch«, antwortete Katrin, ohne zu zögern und mit rollendem R. »Klingt geheimnisvoll, oder? Ist moldawisch.«
    »Moldawisch?«, fragte Martin zurück. »Der Typ ist …«
    »Ja, aus dem noch nicht

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